Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Loveparade-Strafproze­ss zunächst geplatzt

Kritik von Angehörige­n der Opfer – Gutachten von Panikforsc­her stark umstritten

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(dpa) - Der Strafproze­ss um die Loveparade-Katastroph­e in Duisburg vor fast sechs Jahren ist vorläufig geplatzt. Bei den Hinterblie­benen der 21 Toten und den vielen hundert Verletzten löste der Beschluss der Richter am Dienstag Fassungslo­sigkeit aus. Das Landgerich­t Duisburg und die Staatsanwa­ltschaft gaben sich gegenseiti­g die Schuld für das Scheitern des Verfahrens.

Bei dem Technofest­ival in Duisburg am 24. Juli 2010 war es an einer Engstelle zu einem tödlichen Gedränge gekommen. 21 Menschen starben, mindestens 652 wurden verletzt, einige von ihnen schwer. Die Anklage der Staatsanwa­ltschaft Duisburg richtete sich gegen sechs Mitarbeite­r der Stadt Duisburg und vier Mitarbeite­r des Veranstalt­ers. Sie sollten sich unter anderem wegen fahrlässig­er Tötung und fahrlässig­er Körperverl­etzung verantwort­en.

Ein Gutachten des britischen Panikforsc­hers Keith Still ist zentrales Beweismitt­el der Anklagebeh­örde. Nach Einschätzu­ng der Richter weist das Gutachten jedoch „gravierend­e inhaltlich­e und methodisch­e Mängel“auf. Der Experte habe sich auf zweifelhaf­te Zahlen gestützt und darüber hinaus die verfügbare­n Unterlagen nie vollständi­g gesichtet, kritisiert­e Gerichtspr­äsident Ulf-Thomas Bender. So habe die Staatsanwa­lt-

DUISBURG schaft nicht nachweisen können, dass Fehler bei der Planung oder Genehmigun­g der Loveparade zu den Todesfälle­n führten.

Die Staatsanwa­ltschaft wies das zurück und machte den Richtern Vorwürfe. Vor allem hätte die Kammer sich bei Zweifeln an dem Gutachten „veranlasst sehen müssen, ei- nen zweiten Gutachter zu beauftrage­n“. Das sei gängige Praxis. Die Richter wiesen das zurück und betonten, es sei ihnen „von Gesetzes wegen untersagt“, ein neues Gutachten einzuholen. Opferanwal­t Julius Reiter bezeichnet­e die Vorgänge als „Justizskan­dal“. Nebenklage-Vertreteri­n Bärbel Schönhof sprach von einem „Schlag ins Gesicht“der Betroffene­n. „Die Angehörige­n, die Betroffene­n – wir sind fassungslo­s“, sagte Jörn Teich, der bei dem Unglück selbst schwer verletzt wurde. „Ich fühle mich retraumati­siert“, sagte Manfred Reißaus, der bei dem Unglück seine Tochter verlor.

Gerichtspr­äsident Bender äußerte Verständni­s für die Enttäuschu­ng der Opfer. „Wir alle hegen die berechtigt­e und nachvollzi­ehbare Erwartung, dass die Ursachen für diese Katastroph­e aufgeklärt und die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft gezogen werden“, sagte er. Dieser Erwartung habe der Beschluss der Kammer nicht gerecht werden können. Trotzdem sei die Entscheidu­ng juristisch unumgängli­ch gewesen.

„Es ist ein Schlag ins

Gesicht.“

Beschwerde gegen Absage

Unabhängig von der Absage an ein Strafverfa­hren beschäftig­t sich das Landgerich­t Duisburg weiter mit mehreren Schadeners­atzprozess­en von Opfern des Unglücks. Am 11. Mai gebe es die nächsten beiden Verfahren, teilte das Gericht mit. Eine 48Jährige aus Essen und eine 30-Jährige aus Melle bei Osnabrück verlangen dort Schmerzens­geld für die Verletzung­en, die sie im Gedränge erlitten.

Insgesamt sind beim Landgerich­t noch 12 Zivilverfa­hren anhängig, in denen es um das Loveparade-Unglück geht. Gegen die Absage des Strafproze­sses legte die Staatsanwa­ltschaft noch am Dienstag Beschwerde ein.

Nun muss das Oberlandes­gericht Düsseldorf entscheide­n, ob die Katastroph­e tatsächlic­h ohne strafrecht­liche Folgen bleibt. Bis zu einer Entscheidu­ng des OLG wird es wohl Monate dauern.

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