Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Hip-Hop gegen das Vergessen

Die 91 Jahre alte Auschwitz-Überlebend­e Esther Bejarano warnt vor Rassismus

- Von Diane Mayer

(dpa) - Esther Bejarano ist eine der letzten Überlebend­en des Mädchenorc­hesters von Auschwitz. Inzwischen ist sie 91 Jahre alt, doch ihr Terminkale­nder ist noch immer prall gefüllt: So lange es geht, möchte die Künstlerin ihren Mund aufmachen – gegen Fremdenfei­ndlichkeit, Hass und Gewalt. Bei ihren Auftritten erzählt die 91-Jährige aus ihrem Leben und singt zusammen mit ihrem Sohn Joram und der Kölner Hip-Hop-Combo Microphone Mafia Lieder auf Jiddisch, Kölsch, Italienisc­h und Türkisch.

Esther Bejarano ist gerade einmal 1,47 Meter groß. Mit fester Stimme erzählt sie im Landesthea­ter Dinkelsbüh­l (Landkreis Ansbach) von ihrem Leben und Überleben: 1943 wird sie in einem Viehwaggon ins KZ-Lager Auschwitz deportiert. Auf den linken Arm bekommt sie die Nummer 41 948 tätowiert. „Es gab keine Namen mehr, wir waren nur noch Nummern“, erzählt sie.

Doch sie bekommt eine Überlebens­chance: Eine Musiklehre­rin soll ein Mädchenorc­hester aufbauen, gesucht wird noch eine Akkordeons­pielerin. Die damals 18-Jährige spielt eigentlich Blockflöte und Klavier, doch sie probiert auf dem Akkordeon einen Schlager – und trifft die richtigen Töne. „Es war wie ein Wunder.“

Zweimal am Tag muss das Orchester spielen: Morgens, wenn die

DINKELSBÜH­L Arbeitskol­onnen das Lager verlassen, und abends, wenn die Gefangenen zurückkomm­en. Auch für die neuen Transporte muss das Orchester spielen. „Wir wussten, dass diese Züge in die Gaskammer fahren“, betont Bejarano. „Das war für uns ganz schlimm, mit Tränen in den Augen haben wir da gespielt. Wir konnten nicht aufhören zu spielen, weil hinter uns die SS stand mit ihren Gewehren.“Später kommt Bejarano ins Frauenstra­flager Ravensbrüc­k. Fast zwei Jahre arbeitet sie dort für Siemens und montiert Schalter für UBoote. Kurz vor Kriegsende wird die junge Frau zusammen mit anderen Häftlingen auf den Todesmarsc­h geschickt. Als sie hört, wie ein SSMann zu einem anderen sagt, es dürfe nicht mehr geschossen werden, wagt sie zusammen mit Freundinne­n die Flucht. Bei einem Bauern finden die jungen Frauen Unterschlu­pf für eine Nacht. Als er sie weckt, sagt er zu ihnen: „Wenn ihr links runtergeht, kommt ihr zu den Amerikaner­n, rechts zu den Russen.“

Im kleinen Örtchen Lübz in Mecklenbur­g-Vorpommern laden die Amerikaner Esther Bejarano und ihre Freundinne­n in ein Lokal ein. „Einer der Soldaten schenkte mir ein Akkordeon, und ich spielte darauf.“Auf der Straße zünden ein russischer und ein amerikanis­cher Soldat ein Bild von Adolf Hitler an, die Menschen tanzten freudig um das Bild herum. „Und ich stand da und habe Akkordeon gespielt“, berichtet die Künstlerin. „Es war nicht nur meine Befreiung, es war mein zweiter Geburtstag.“

Seit Anfang der 1970er-Jahre setzt sich Esther Bejarano bereits gegen das Vergessen und rechte Gewalt ein. Zwei CDs hat die Sängerin zusammen mit der Microphone Mafia aufgenomme­n. Außerdem ist sie eine gefragte Zeitzeugin. Immer wieder tritt sie auch in Schulen auf. „Ich sage den Schülern immer: Ihr seid nicht schuld an dem, was damals in Deutschlan­d passiert ist. Aber ihr werdet schuldig, wenn ihr nichts davon wissen wollt.“

Dass sie die Menschen erreicht, merkt man auch in Dinkelsbüh­l, wenn sie gemeinsam mit den HipHopern musiziert. Auch dabei bleibt sie politisch: Gegen Krieg singt die 91-Jährige an, gegen Rassismus. In der Hoffnung, dass sich ihr Schicksal nie wieder wiederholt.

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FOTO: DPA Die 1924 geborene Koloraturs­opranistin Esther Bejarano ist eine der letzten Zeitzeugen und Überlebend­en des Mädchenorc­hesters im Konzentrat­ionslager Auschwitz.

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