Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Überlebens­wille im Exil

Syrischer Künstler betreibt Buchladen in Istanbul

- Von Inga Dreyer

(dpa) - Wie ein Seufzen klingt die Stimme der dunkelhaar­igen Sängerin, die mit geschlosse­nen Augen auf dem Boden kniet. Leise stimmt sie ein in die Improvisat­ion der syrischen, türkischen und spanischen Musiker, die mit Gitarre, Klarinette und Saxofon melancholi­sche Melodien aus verschiede­nen Kulturen spielen. Istanbul ist eine Weltstadt voller Kultur – doch Konzertabe­nde in dem Buchladen „Pages“sind etwas Besonderes.

Denn gemessen an der Zahl von etwa 400 000 Syrern, die hier leben, ist ihre Kulturszen­e noch immer klein. Samir al-Kadri will das ändern. Im Juni vergangene­n Jahres eröffnete der aus Damaskus geflüchtet­e Maler, Illustrato­r und Verleger den ersten syrischen Buchladen der Stadt. Mit Konzerten, Lesungen und Workshops will er zeigen, was syrische Kultur ist – jenseits von Krieg und Terror.

ISTANBUL

Kultur trotz Krieg

Viele Menschen assoziiert­en mit dem Bürgerkrie­gsland zuerst die Terrormili­z Islamische­r Staat, sagt al-Kadri. Diesem Bild will er einen Ort entgegense­tzen, an dem Syriens Kulturszen­e trotz Krieg, Vertreibun­g und Elend weiterlebt. „Ich bin kein Kämpfer, ich kann niemanden töten“, sagt der 42-Jährige. Seinen Kampf führt er deshalb mit Literatur, Musik, Bildern und Gesprächen.

Als al-Kadri im September 2013 mit seiner Familie nach Istanbul kam, hatte er lediglich 3800 Dollar in der Tasche. Eigentlich wollten er und seine Frau Gulnar Hajo, eine in der arabischen Welt bekannte Illustrato­rin und Kinderbuch­autorin, bloß einen Ausflug zur Buchmesse nach Abu Dhabi machen. Doch just zu diesem Zeitpunkt hätten Schergen des syrischen Regimes seinen Kinderbuch­verlag nahe Damaskus durchsucht, erzählt er. „Sie wollten mich ins Gefängnis werfen.“Er sei kein politische­r Mensch, betont er. Aber als 2011 die Proteste gegen Machthaber Baschar al-Assad begannen, habe er seine Position als Intellektu­eller genutzt, um öffentlich Kritik zu üben.

Er und seine Familie kehrten nicht nach Syrien zurück. Al-Kadri erzählt, das Verlagshau­s sei inzwischen durch Bombenangr­iffe des Regimes zerstört worden. „Ich habe alles verloren“, sagt er. Eine Verwandte brachte die beiden Töchter aus Syrien nach Jordanien, wo die Familie ein Jahr von dem Verkauf der Bücher lebte, die schon aus Syrien exportiert waren. Dann entschiede­n sie sich, nach Istanbul zu gehen. „Es ist eine wunderschö­ne Stadt“, sagt Samir alKadri. Doch die erste Zeit war hart: neues Land, neue Sprache, kein Geld. „Das ist besonders schwer, wenn man Kinder hat.“

Von einem türkischen Verlag bekamen er und seine Frau Aufträge für Illustrati­onen. Außerdem lässt alKadri unter dem alten Verlagsnam­en „Bright Fingers“nun wieder Bücher drucken. So kam nach und nach das Geld zusammen, das jetzt in „Pages“steckt. Im Erdgeschos­s des schmalen, grün gestrichen­en Holzhauses stapeln sich arabische, im Keller türkische und englische, im Dachgescho­ss Bilderbüch­er.

Neben „Pages“gibt es noch einige wenige Refugien, in denen sich ebenfalls die syrische Kulturszen­e trifft. „Arthere“etwa ist eine Mischung aus Galerie, Atelier und Café. Der syrische Fotograf und Medienküns­tler Omar Berakdar hilft dort bildenden Künstlern, Anschluss an den internatio­nalen Kunstmarkt zu finden. Auch in der Istanbuler Galeriesze­ne werden Syrer präsenter. Das Kulturzent­rum Depo zeigt im April die Ausstellun­g des syrischen Malers Mohammed Zaza.

Richtung Westeuropa

Viele der geflüchtet­en Künstler orientiere­n sich von Istanbul aus Richtung Westeuropa. Auch Samir al-Kadri möchte eine „Pages“-Filiale in Berlin eröffnen. Doch er selbst will in Istanbul bleiben – bis er nach Syrien zurückkehr­t. Wenn der Krieg vorbei ist, will er dort noch einmal von vorne anfangen. Absichtlic­h lerne er kein Türkisch – denn schon jetzt liebe er Istanbul fast zu sehr, sagt Samir al-Kadri.

Doch er fühlt sich seinem Heimatland verpflicht­et. „Am selben Tag, an dem Assad stürzt, gehe ich zurück“, betont er. „Wenn wir nicht zurückgehe­n, wer wird unser Land dann wieder aufbauen?“

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