Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kassensturz zum Auftakt
Grüne und CDU in inhaltlichen Teil der Koalitionsverhandlungen gestartet
- Wie sich zwei erbitterte politische Gegner annähern, wenn der Wähler sie an den Verhandlungstisch zwingt, zeigt sich vor allem in den kleinen Begegnungen am Rande der großen Gespräche. Bestes Beispiel: Zur ersten inhaltlichen Verhandlungsrunde zwischen Grünen und CDU kamen Verkehrsminister Winfried Hermann und CDU-Verkehrsexpertin Nicole Razavi am Mittwoch gemeinsam in die Stuttgarter L-Bank. Hermann, bislang einer der Lieblingsfeinde der CDU, war der Kollegin auf dem Weg zum Verhandlungsort begegnet und ließ sie im Dienstwagen mitfahren.
Neben solchen atmosphärisch wertvollen Signalen ging es am Mittwoch vor allem um die Haushaltslage. Diese stellte ein Spitzenbeamter des Finanzministeriums der großen Koalitionsrunde vor. Darin sitzen je 18 Vertreter der beiden Parteien. Die personell üppig ausgestattet Runde wurde auf Drängen der CDU eingesetzt. Sie will Fraktion und Bezirksverbände möglichst breit einbinden, nachdem es zu Beginn der Gespräche mit den Grünen Kritik gegeben hatte, weil zu wenig Landespolitiker der Union am Verhandlungstisch saßen.
Allerdings setzten die Grünen durch, dass eine deutlich schlankere Runde mit sechs ihrer Mitglieder und vier CDU-Abgesandten zentrale Streitfragen klärt. Diese kleine Koalitionsrunde (siehe Kasten) soll deutlich häufiger tagen als ihr großes Pendant. Selbst aus Teilen der CDUSpitze heißt es, die 36er-Runde sei wichtig für den Zusammenhalt, aber
STUTTGART nicht arbeitsfähig für echte Verhandlungen. Über Inhalte verhandeln außerdem neun Arbeitsgruppen.
Am Mittwoch also kam die große Runde zusammen. An deren Ende zeigte sich: Ganz ohne alte Kampflinien kommen beide Lager noch nicht aus. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann erinnerte an den Anfang seiner Amtszeit und sparte nicht mit einem Seitenhieb auf die CDU-geführte Vorgängerre- gierung: „Die grün-rote Koalition hat 2011 ein Defizit von 2,5 Milliarden Euro vorgefunden.“Diese Lücke habe man ein gutes Stück geschlossen. Allerdings gebe es trotz weiterhin sprudelnder Steuereinnahmen bis 2020 erhebliche zusätzliche Belastungen. Kretschmann nannte die Kosten der Flüchtlingskrise. Hier kalkuliert das Land mit 2,2 Milliarden Euro für 2016 – bei gleichbleibenden Flüchtlingszahlen wie 2015. Bis 2020 ergibt sich in der mittelfristigen Finanzplanung ein Defizit von rund 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Zahlen sind nicht neu, die grün-rote Regierung hatte sie bereits vorgelegt.
„Ernüchternd“, sei diese Bilanz gewesen, sagte Thomas Bareiß, Vorsitzender des CDU-Bezirks Württemberg-Hohenzollern und Chefverhandler seiner Partei für Wirtschaft und Finanzen. Sein Parteichef Strobl warf der noch amtierenden Regierungsmannschaft vor, in den vergangenen fünf Jahren die Ausgaben um ein Drittel auf zuletzt 46 Milliarden Euro gesteigert zu haben.
Beim Ziel sind sich die Verhandlungspartner aber einig: Kretschmann und Strobl betonten erneut, die in der Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse ab 2020 einhalten zu wollen. Ab dann dürfen die Länder keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Damit ist klar: „Beide Seiten werden abspecken müssen. Nicht alles, was man im Wahlkampf wollte, wird möglich sein“, so Grünen-Landeschefin Thekla Walker.
Wünsche und finanzielle Wirklichkeit abzugleichen ist Aufgabe der kleinen Koalitionsrunde. Sie trifft sich am Freitag zur nächsten Sitzung. Am 15. April wollen die Parteien Ergebnisse der Arbeitsgruppen erneut in großer Besetzung diskutieren.