Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Fallstricke beim Müllexport
Der Landkreis Ravensburg sieht sich unvermittelt von einem Skandal um illegale Abfallentsorgung in Vorarlberg betroffen
- Aaskrähen flattern über der Firma Häusle im Norden von Lustenau. Eigentlich nichts Besonderes bei einem Betrieb für Müllentsorgung. Abfall bietet Fressen. Im Fall der Vorarlberger Firma erscheinen die Krähen aber fast wie ein Omen. Bei den Altvorderen galten sie als schwarze Unglücksvögel, oft an Galgen gesehen. Und mit der Firma Häusle scheint es bergab zu gehen. Schuld ist die über Jahre andauernde illegale Entsorgung von Müll auf deren Areal. Ein Skandal, der inzwischen grenzüberschreitend Kreise bis nach Oberschwaben gezogen hat. Dabei geht es letztlich um Müllexport und die Frage, ob die EU-Vorgaben bei der Entsorgungswirtschaft wirklich so glücklich sind. „Nein“, meint Paul Locherer.
LUSTENAU
EU will Mülltourismus einschränken, eigentlich
Er ist scheidender Landtagsabgeordneter der CDU und vertrat in Stuttgart unter anderem den östlichen Teil des Landkreises Ravensburg. Dieser lässt seit Jahresbeginn seinen Biomüll bei der Firma Häusle zur Vergärung und Vergasung entsorgen – höchst legal. Eigentlich will die EU aber den Mülltourismus einschränken. Das Hin- und Herkarren von Abfall hat sich seit den 1990er-Jahren zum großen Geschäft entwickelt.
Seinerzeit wurde die traditionelle Ablieferung auf althergebrachten Deponien zum Auslaufmodell. Müllverwertung war plötzlich ein großes Thema. Nicht jedes Land oder jede Region leistete sich aber für diesen Zweck hochwertige Anlagen. Der Müll wurde mobil. Halbseidene Abfallunternehmer nutzten dies gerne für eine Billigentsorgung in Südeuropa oder gleich in Afrika. Die Grenzen zwischen legaler und illegaler Beseitigung verwischten immer mal wieder.
Die EU versuchte das Problem verbindlich für die Mitgliedsstaaten zu lösen. So schreibt eine Abfallrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2008 beim Hausunrat auch eine möglichst ortsnahe Beseitigung oder Verwertung vor. In Baden-Württemberg findet sich diese Regelung in der sogenannten Autarkieverordnung wieder – für getrennt gesammelten Biomüll gilt sie jedoch nicht.
Für Bio-Müll gilt Recht auf freien Handel
Einmal mehr steckt dahinter die EU. Im Gegensatz zu Restmüll stuft sie Biomüll als ungefährliche Ware ein. Womit das Recht auf freien Handel Vorrang hat.
Im Prinzip kann getrennt gesammelter Biomüll überallhin gebracht werden: auch dorthin, wo es traditionell laxe Behörden und Vorschriften gibt – etwa nach Sizilien ebenso wie auf eine griechische Insel. Grenzen setzen letztlich nur die Transportkosten des Mülls.
Der Abgeordnete Locherer hält dies für hochproblematisch. „Beim Biomüll“, fordert er, „brauchen wir auch das Autarkieprinzip, also die ortsnahe Verwertung.“Das Vorarlberger Beispiel zeige, welche Fallstricke es beim Müllexport geben könne.
Das ausgedehnte Areal von Häusle erstreckt sich unweit des Alpenrhein-Kanals. Ein Sammelsurium von Entsorgungsmöglichkeiten wird geboten. Gepresste Ballen aus Plastikmüll stinken zum Himmel. Bauschutt häuft sich. Links vom Eingang ist eine Biogasanlage. Privatkunden bringen Reisig vom Baumschnitt aufs Gelände. Recht mutig wirbt die Firma auf einem Schild mit den Worten „Umwelt.freundlich“. Auch der Spruch „Wir bewahren Rohstoffe für Generationen“ist zu lesen. Doch um 2005 herum wurde angefangen, allerlei Müll an Ecken zu vergraben, wo es kriminell war.
Von mindestens sechs illegalen Deponien ist die Rede. Sie sollen ab 2005 entstanden sein. Heraus kam das Ganze, als Spaziergänger Mitte März in einem Lärmschutzwall am Rand des Areals Plastikschnipsel sahen. Sie waren mit Gärresten ausgebracht worden. Eine Untersuchung setzte ein. Sie hat ihre eigene Brisanz. Häusle war bis 2007 eine Tochter des Energie-Versorgers Vorarlberger Kraftwerke. Der ist wiederum Teil der Illwerke. Diese gehören dem Land Vorarlberg. Als das Ausmaß des Skandals Ende März sichtbar wurde, kündigte dann auch der für Abfallwirtschaft zuständige Landesrat Johannes Rauch (Grüne) Folgen an: „Wir prüfen härtestmögliche Folgen nach dem Abfallwirtschaftsgesetz.“
Hausmüll mit Batterien und Nagellack verschwindet
Irgendjemand bei Häusle habe sich „Entsorgungskosten und Abgaben im großen Stil ersparen wollen”, mutmaßt der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) mit Blick auf die ersten Recherchen. Sie ergaben unter anderem, dass auch Hausmüll mit Batterien und Nagellack im Untergrund verschwand. Kurzzeitig stand sogar eine Schließung der Firma im Raum – zumal unklar war, ob mit einer Verseuchung des Trinkwassers zu rechnen sein würde.
Inzwischen zeigt man sich auch im rund 60 Straßenkilometer entfernten Ravensburger Landratsamt höchst alarmiert. Es hatte zum Jahresanfang die Biotonne eingeführt. Dies war wegen des 2012 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschaftsgesetzes nötig geworden. Das Landratsamt ging nach den gesetzlichen Vorgaben vor. Es suchte einen Entsorgungspartner über eine europaweite Ausschreibung. Eine Bietergemein- schaft aus der Lindauer Recyclingfirma Fischer und Häusle war das günstigste Angebot, wie Franz Hirth, Sprecher des Landratsamtes, bestätigt. Er sagt, „nach bestehendem Recht war ihr der Zuschlag zu erteilen“.
Während der Restmüll des Kreises in der Allgäu-Metropole Kempten thermisch verwertet wird, kam so der Ravensburger Kontakt nach Lustenau zustande. Anrüchig erschien nichts – auch nicht der Weg über die Grenze. Die Entfernung ist schließlich gering. „Dies ist noch in der Region“, meint selbst Günter Tillinger, Umweltberater der Ravensburger BUND-Gruppe. Zudem karrt auch die Nachbarschaft Teile ihres Abfalls über eine Grenze. In diesem Fall sogar den Restmüll. Der Bodenseekreis lässt ihn zum Verbrennen nach Zürich bringen. Böser Wille ist dies nicht. Es handelt sich eher um einen gesetzlich zulässigen Sachzwang. Der Bodenseekreis besitzt keine eigene Müllverbrennungsanlage. Deshalb hat er sich mit dem angrenzenden Kreis Konstanz zusammengetan. Da lag der Weg nach Zürich nahe. Alternative Verbrennungsanlagen bei Ulm oder in Kempten liegen ungünstiger.
Amtzell wird bei Auschreibung nur Zweiter
Recht ortsnah bringt der Bodenseekreis jedoch seinen Bio-Müll unter. Er kommt in ein Industriegebiet bei Amtzell, einer Gemeinde am Anfang des württembergischen Allgäus. Seit 2008 gibt es dort das Amtzeller Werk für Biogas. Sinnigerweise liegt der Standort im Landkreis Ravensburg. Bei der Ausschreibung für die Biomüll-Entsorgung wurde Amtzell aber nur zweiter Sieger. Dies scheint übrigens auch Abgeordneten Locherer zu schmerzen. Als er noch Amtzeller Bürgermeister war, hat er sich für die örtliche Biogasanlage starkgemacht. Vielleicht gibt es aber jetzt eine Revanche. Hans-Peter Schmid, einer der drei Geschäftsführer der Anlage, meint, man könne mithilfe von Partnern kurzfristig einspringen, sollte der Landkreis seine Verbindungen nach Vorarlberg lösen. „Zudem“, sagt er, „haben wir bereits die Genehmigung, unsere Kapazität zu verdoppeln. In einem Jahr könnten die Baumaßnahmen abgeschlossen sein.“
Das Landratsamt Ravensburg muss aber erst einmal prüfen, ob es die Geschäftsbeziehung zu Häusle in Vorarlberg aufrechterhalten soll. Zwar wurde der Kreis-Biomüll nicht illegal verbuddelt. Die Partnerschaft dauert ja erst drei Monate an. Die Behörde will sich im sensiblen Abfallbereich jedoch keine moralische Blöße geben – zumal Häusle bereits ein weiteres Problem hat: Die Schwarzgrüne Vorarlberger Landesregierung hat zum Wochenanfang die Gasaufbereitungserlaubnis der Firma kassiert. Wegen auftretender Gerüche ist die entsprechende Anlage plötzlich nicht mehr genehmigungsfähig. Dies spielt zwar gegenwärtig für die Abnahme des Ravensburger Biomülls keine Rolle, berührt aber einen wunden Punkt: Laut Insider der Müllbranche wird die Genehmigungspraxis für Entsorgungsunternehmen in Österreich im Allgemeinen entspannter gehandhabt als in Deutschland. Wobei der zuständige Vorarlberger Landesrat Rauch dies dementiert.
In Lustenau darf indes der Häusle-Geschäftsführer Thomas Habermann sei- ne Arbeitszeit mit Krisenmanagement zubringen. In einem Interview mit Regio TV gibt er sich betroffen. Habermann hat seinen Posten erst kürzlich angetreten. Eine Verantwortung für den Skandal trifft ihn nicht. Trotzdem ist er der Mann, der nun am Tisch des Vorarlberger Landeskriminalamtes sitzen muss. Dies ist dabei, das ganze Firmenareal umzudrehen.