Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Daimler im Dieseldunst
Starker Tobak statt starker Zahlen: Deutsche Umwelthilfe zerrt den Autobauer vor Gericht
- Der Termin war wohlgewählt. Pünktlich zur Hauptversammlung der Daimler AG am Mittwoch in der schicken CityCubeKongresshalle in Berlin hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) eine Unterlassungsklage gegen den Automobilhersteller beim Stuttgarter Landgericht eingereicht. Der Vorwurf: Daimler habe die Verbraucher mit Werbung über saubere Dieselmotoren in die Irre geführt. Im Detail geht es um sogenannte Abschalteinrichtungen, die in Dieselmotoren dafür sorgen, dass die Abgasnachbereitung in bestimmten Fahrsituationen heruntergeregelt wird.
Während die Stuttgarter nach außen hin stets bestritten haben, eine solche Abschalteeinrichtung in ihren Modellen zu verwenden, bestätigte Daimler nach Darstellung der Umwelthilfe die Existenz eines solchen Moduls Anfang Februar im firmeneigenen Intranet. Inzwischen ist dies auch offizielle Lesart. „Daimler hat eingeräumt, dass sie über die Motorsteuersoftware bei Temperaturen unterhalb von zehn Grad Celsius die Wirkung der Dieselabgasreinigung verringern“, sagt Jürgen Resch, Chef der Umwelthilfe der „Schwäbischen Zeitung“. Anfang Februar hatte die Umwelthilfe Messungen aus den Niederlanden veröffentlicht, die eine bis zu 28-fache Überschreitung der Grenzwerte für Stickoxide bei einem Mercedes C-Klasse BlueTec 220 CDi belegen. Daimler bewirbt die Bluetec-Modelle als besonders schadstoffarm.
Die Umwelthilfe hatte deshalb den Entzug der Typgenehmigungen für dieses Modells gefordert und in einem Rechtsgutachten die Praxis der Abschalteeinrichtung für nicht rechtens erklären lassen. Auch ein von den Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages stellt dies in Frage. Darin heißt es prinzipiell: „Die Verwendung von Abschalteeinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.“Ausnahmen seien nur dann erlaubt, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Dass Temperaturen von weniger als zehn Grad Celsius diesen Ausnahmetatbestand rechtfertigen, dürfe bezweifelt werden, so Resch.
RAVENSBURG
Daimler: Klage ist unbegründet
Doch genau auf diesen Passus beruft sich Daimler. „Wir sind davon überzeugt, dass die Regelung des Abgasnachbehandlungssystems für den Motorschutz und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs innerhalb der gesetzlichen Vorgaben erfolgt“, erklärte ein Daimler-Sprecher auf Anfrage. Man halte die Klage deshalb für unbegründet.
Die Dramaturgie der Hauptversammlung, auf der Daimler-Chef Dieter Zetsche nach dem Rekordjahr 2015 seine Anteilseigner mit einer deutlich höheren Dividende beglücken wollte, nahm mit dem Bekanntwerden der Klage gleichwohl eine ganz andere Richtung. Der Dieselskandal bei Volkswagen und die damit verbundene Diskussion um Abgaswerte bei Selbstzündern, drohen sich nun tatsächlich zu einem branchenweiten Problem auszuwachsen und sorgten unter den Daimler-Aktionären für Unruhe. Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment sprach von „enormen Klage- und Reputationsrisiken für die gesamte Automobilindustrie“. Auch andere Aktionärsvertreter verlangten mehr Aufklärung.
Daimler-Chef Zetsche beschwichtigte: Die Fahrzeuge seien auf Basis der geltenden Rahmenbedingungen in den einzelnen Regionen zertifiziert und zugelassen. „Im realen Fahrbetrieb können Abweichungen im Vergleich zu den zertifizierten Normwerten auftreten.“Das sei keine Manipulation, sondern Folge der vorgeschriebenen Messverfahren. Rückstellungen für mögliche Schadenersatzzahlungen seien bis
lang nicht gebildet geworden.
Klärung muss her
Branchenexperten bewerten die Angelegenheit differenzierter: „Die Gerichte müssen am Ende entscheiden, ob der Schutz der Bauteile, den Daimler reklamiert und weswegen die Abgase gedrosselt werden, im Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen steht. Für Daimler ist es absolut entscheidend, ob es eine Manipulation war oder nicht. Der Dieselskandal bei Volkswagen dient heute als Referenz“, sagt Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management an der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. Sollte sich der VW-Skandal jetzt noch ausweiten, wäre das für die gesamte Automobilbranche ein Riesenproblem.
Die Auseinandersetzung darüber schwelt schon seit Monaten. Betroffen ist nicht nur Daimler sondern auch viele andere Hersteller, denen möglicherweise Klagen ins Haus stehen. Umso wichtiger ist es daher, endlich Klarheit über die starken Abweichungen der Abgaswerte im Test- und im Normalbetrieb zu bekommen und darüber, ob das im gesetzlichen Rahmen geschieht oder nicht. Denn das Vertrauen der Verbraucher wird seit geraumer Zeit auf eine harte Probe gestellt. Man müsse mit Vorverurteilungen zwar vorsichtig sein, sagt Autoexperte Bratzel. Doch sollte die Klage Substanz haben, sei das schon „starker Tobak“.