Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Picasso endlich mal anders
Das Malergenie und Deutschland im Zentrum einer Schau bei Würth in Schwäbisch Hall
- Pablo Picassos Beziehung zu Deutschland ist lang und voller Widersprüche. In der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall wird gezeigt, was der Maler der deutschen Kunstszene zu verdanken hat. Die neue Ausstellung mit dem Titel „Picasso und Deutschland“wurde vom Picasso Museum im spanischen Málaga konzipiert und tritt jetzt in veränderter Form in einen Dialog mit Werken aus der Sammlung Würth. Eines sei schon mal gesagt: Der Parcours ist eine Wucht.
SCHWÄBISCH HALL
Spannende Dialoge
Eine eindrucksvolle Fülle von Gemälden, Grafiken und Skulpturen ist da in der Kunsthalle Würth versammelt. 85 Werke von Pablo Picasso (1881-1973) sind mit weiteren rund 150 Arbeiten von deutschen Künstlern der Klassischen Moderne sowie dem späten Mittelalter zusammengeführt – von Lucas Cranach, dem Älteren und dem Jüngeren, über Ernst-Ludwig Kirchner, Max Beckmann, Otto Dix oder August Macke bis zu Max Ernst. Sie umfassen den Zeitraum zwischen 1901 und 1970.
Die Ausstellung ist eine spontane Übernahme aus dem Picasso Museum Málaga, für die José Lebrero Stals und sein Team drei Jahre geforscht haben. Innerhalb von vier Monaten wurde das Projekt auf Haller Verhältnisse angepasst, gab es doch durch den kurzen Vorlauf Einbußen bei der Werkliste. Einiges ließ sich kompensieren, da die hauseigene Sammlung selbst über einen fantastischen Bestand verfügt – darunter allein 35 Arbeiten von Picasso. Andere Lücken ließen sich durch neue Leihgaben aus Privatsammlungen und Museen in acht Ländern stimmig ergänzen. Möglich sind solche Aktionen nur dank der großzügigen Leihpolitik von Reinhold Würth. Sprich: Gibst du mir, geb ich dir.
Früh gehandelt und verehrt
Tatsache ist, dass Picasso die deutsche Kunstszene seiner Zeit kaum beachtet hat. Umgekehrt hat sich diese kräftig an ihm gerieben. Erstaunlicherweise ist sein Aufstieg zum Genie der Klassischen Moderne eng mit deutschen Kunsthändlern und Sammlern verbunden. So nahm Daniel-Henry Kahnweiler, der in Paris eine Galerie führte, den Maler bereits 1911 unter Vertrag. Picasso selbst hat Deutschland nie besucht. Dennoch fand seine erste große Einzelausstellung 1913 bei Heinrich Thannhauser in München statt. Der Galerist stand auch der Künstlergruppe des „Blauen Reiters“nahe, für die der junge Spanier ein Leitstern war. Andere Deutsche dagegen neideten dem Ausnahmekünstler den Erfolg. Max Beckmann etwa ätzte in der Zeitschrift „Pan“über dessen kubistische Phase.
All solche Spuren nimmt die Ausstellung in Schwäbisch Hall auf. Doch statt sich an der Chronologie zu orientieren, setzt das Kuratorenteam bei der Gruppierung auf 22 Themenkreise: vom Einfluss anderer Kulturen über Porträts oder die Welt der Artisten bis hin zu Stillleben und den Auswirkungen der beiden Weltkriege. Dabei treten erstmals Bilder von Künstlern in einen Dialog, von denen sich viele nie begegnet sind.
Nebeneinander hängen jetzt in Schwäbisch Hall zum Beispiel das Porträt, das Picasso von seiner ersten Frau Olga 1922/23 malte, sowie das Beckmann-Bildnis der „Naila“von 1934. Beide knüpfen hier malerisch an Alte Meister an. An der Wand gegenüber wiederum reihen sich weitere Frauenporträts von August Macke, Otto Dix und Ernst-Ludwig Kirchner aneinander. Sie reichen stilistisch vom Expressionismus bis zu Neuer Sachlichkeit. Und zwischendrin be- findet sich das reizende kleine Porträt der „Katharina von Bora“(o.J.) aus der Werkstatt des älteren Cranach. Diese Nische gehört im Ausstellungsparcours mit zu den schönsten.
Spannend ist die Abteilung zum Thema Krieg. Blickfang sind hier zwei düstere Stillleben von Beckmann und Picasso aus den 1940erJahren, die beide im Besitz von Würth sind. Aufschlussreich ist auch das Artistenthema, das viele Künstler immer wieder beschäftigt hat. Ganze Mappen sind dazu entstanden. Die Gegenüberstellung von Picasso und Deutschland funktioniert zwar nicht immer, aber sie belegt in jedem Fall die Aufbruchsstimmung der Kunst der Klassischen Moderne.
Altes neu interpretiert
Und dann gibt es noch eine Nische, die sich mit Picassos Verhältnis zur deutschen Kunst des Spätmittelalters beschäftigt. Sie bildet den furiosen Auftakt. Hier konnten die Ausstellungsmacher aus dem Vollen schöpfen, besitzt doch Würth bekanntlich eine bedeutende Sammlung Alter Meister. Im Zentrum stehen die Cranach-Paraphrasen vom Älteren, die Picasso zu den Bildern „Venus und Amor“(1506-09) und „Bathseba beim Bade“(1525/30) geschaffen hat. Mit den Vorlagen, die durch Leihgaben in Form von Kupferstichen aus Berlin ergänzt werden, ging das Malergenie frei und kühn um. Souverän wechselt er dabei die Stile – von der pseudo-altmeisterlichen Variante bis zur wüsten Deformierung der Gestalten.
Höhepunkt dieser Neuinterpretationen ist die Farblinolschnittserie „Porträt eines jungen Mädchens nach Cranach dem Jüngeren“von 1958, mit der die Schau einen Stock tiefer endet. Die Arbeiten soll Picasso – wie in den meisten Fällen – auf der Grundlage einer Postkarte geschaffen haben, die ihm sein Kunsthändler Kahnweiler aus Wien mitgebracht hatte. Noch nie zuvor waren alle Blätter auf einmal zu sehen. Picasso geht immer, heißt in der Museumsbranche. Diese Ausstellung hebt sich durch den Bezug zu Deutschland von dem bislang Gezeigten wohltuend ab.