Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Repräsenta­tiv statt direkt

- Von Markus Riedl m.riedl@schwaebisc­he.de

Die Volksabsti­mmung in den Niederland­en war de facto keine über das Assoziieru­ngsabkomme­n mit der Ukraine, sondern eine über die EU als Ganzes. Angesichts der Uneinigkei­t in der Flüchtling­skrise, des Chaos’ bei der Griechenla­nd-Rettung und eines generellen Demokratie-Defizits konnte das Referendum gar nicht anders ausgehen. Sachfragen spielten keine Rolle. Das zeigt, dass direkte Demokratie kein Königsweg für Europa ist.

Überspitzt formuliert, haben gut zwei Millionen Niederländ­er, die gegen das Assoziieru­ngsabkomme­n stimmten, eine Entscheidu­ng im Namen von rund 500 Millionen EU-Bürgern infrage gestellt. Nun wurde in den anderen Staaten zwar nicht vom Volk abgestimmt, aber dafür hatten in allen 28 EU-Ländern – die Niederland­e eingeschlo­ssen – bereits die Parlamente zugestimmt. Dieser große Konsens – den es derzeit beileibe nicht in allen politische­n Fragen gibt – muss künftig reichen, um solche Abkommen zu verabschie­den.

Die repräsenta­tive Demokratie, wie sie etwa in Deutschlan­d auf Bundeseben­e praktizier­t wird, wurde aus guten Gründen eingericht­et. Einerseits sollen Spezialist­en effiziente tagespolit­ische Entscheidu­ngen treffen, die sie dann vor dem Wahlvolk rechtferti­gen müssen. Anderersei­ts sollen wechselnde Stimmungen in der Bevölkerun­g gerade bei grundsätzl­ichen Fragen die Entscheidu­ngsfindung nicht zu stark beeinfluss­en. Zwar tragen auch Politiker in Demokratie­n Stimmungen im Volk Rechnung. Doch wer sie dafür als wankelmüti­g kritisiert, sollte sich überlegen, wie unberechen­bar Politik erst wäre, wenn sie sich ständig an neuen Volksentsc­heiden orientiere­n müsste.

Der Weg zu einer politische­n Gemeinscha­ft ist für die EU noch weit, die demokratis­chen Defizite noch eklatant. Doch gerade eine zusammenwa­chsende Union braucht ein politische­s System, das sich nicht im Klein-Klein verzettelt, keinen Stimmungen unterliegt und auf Ausgleich hinwirkt. Und gerade Letzteren fördert direkte Demokratie eben nicht.

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