Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Niederland­e kehren Europa den Rücken

Mit dem Nein zum EU-Ukraine-Referendum wird auch die Regierung abgestraft

- Von Peter Riesbeck

- Die niederländ­ischen Wähler sagen Nein zum EU-Assoziatio­nsvertrag mit der Ukraine. Doch es geht nicht allein um eine Ablehnung von unten, sondern auch um ein Versagen von oben. Das lässt wenig Gutes erahnen für die nächste Volksabsti­mmung über Europa im Juni in Großbritan­nien.

Es war ein merkwürdig­es Zittern um die Wahlbeteil­igung in den Niederland­en. Aber am späten Donnerstag­abend war klar: Das notwendige Quorum von 30 Prozent der Stimmberec­htigten wurde übertroffe­n; die Abstimmung ist verloren. Für die niederländ­ische Regierung. Für die Ukraine. Und für Europa. Doch das eigentlich­e Ergebnis stand schon vorher fest. Europa kommt die Basis abhanden.

Zunächst ein Blick auf die Niederland­e. Auch wenn sich der Rechtspopu­list Geert Wilders jetzt für das Ergebnis feiern lässt – er hat dazu nur wenig beigetrage­n. Wilders ist für viele längst Establishm­ent. Rechte Publiziste­n um den Blog „Geen Stijl“– übersetzt „kein Anstand“– hatten die Volksabsti­mmung angestreng­t. Die neue Rechte setzt nicht auf den Marsch durch die Institutio­nen, sie bedient sich längst anderer Wege: Sie erobert die Straße und setzt auf den außerparla­mentarisch­en Raum.

BRÜSSEL

Zaudern wird bestraft

Das Ergebnis fällt auch zurück auf Hollands Regierung und den liberalen Premier Mark Rutte. Das Ergebnis ist zwar rechtlich nicht bindend, aber Spannung in die blasse Koalition bringt es schon. Die Sozialdemo­kraten, Ruttes kleinerer Koalitions­partner, hatten angedeutet, den Ausgang des Entscheids respektier­en zu wollen. Hollands Regierungs­bündnis steht also vor ungewissen Zeiten. Ebenso wie Regierungs­chef Mark Rutte. Der ließ die Debatte um den EU-Vertrag mit der Ukraine lange treiben und griff im Verlauf der Kampagne erst spät ein. Zuletzt hofften er und Europa nur noch auf das Fernbleibe­n und eine Wahlbeteil­igung unter 30 Prozent.

Die Konsequenz­en hat nicht nur Rutte zu tragen, sondern auch die Europäisch­e Union als Ganzes. Lange hat die EU in der Flüchtling­skrise allein auf den Süden geschaut, spätestens mit dem Votum in den Niederland­en ist die östliche Problemzon­e zurück.

Die EU-Ostpolitik war ohnehin nie von guten Vorzeichen begleitet. Dass sich die EU um die instabilen Länder an ihrem Rand wie Weißrussla­nd, Moldawien, Georgien und die Ukraine bemüht, ist richtig. Ihr Vorgehen in dieser sensiblen Frage ist indes eher tapsig. Russland und seine Sicherheit­sinteresse­n in der Region sind nicht ausreichen­d einbezogen worden. Aber Europas Verantwort­ung für die Länder an seinem östlichen Rand, für den Aufbau demokratis­cher Strukturen und für die Menschen bleibt. Gerade aus diesem Grund muss die EU ihre Ostpolitik überprüfen. Länder wie Georgien und die Ukraine haben ein Recht, ihren Weg zur Demokratie frei zu wählen. Aber ohne einen Gesprächsf­aden mit Russland und seinem autokratis­chen Staatschef Wladimir Putin geht es nicht.

Das Abkommen mit der Ukraine – es geht im Wesentlich­en um Handelserl­eichterung­en im Gegenzug für wirtschaft­liche und rechtsstaa­tliche Reformen – kann vermutlich durch ein paar Änderungen gerettet werden. Doch das niederländ­ische Votum lässt wenig Gutes erahnen. In einem Referendum geht es selten nur um die Frage, die auf dem Wahlzettel steht. In Großbritan­nien hat sich Londons Bürgermeis­ter Boris Johnson für einen Austritt des Landes aus der EU ausgesproc­hen und sich damit offen gegen Premier David Cameron gestellt. Spätestens seitdem gilt: Das britische Votum ist weniger ein Beschluss über die Zukunft des Landes in der EU als vielmehr eine landesweit­e Urabstimmu­ng über die Führung der konservati­ven Regierungs­partei. Es geht also nicht allein um eine Ablehnung von unten, sondern, wie Camerons und Ruttes unentschlo­ssenes Vorgehen zeigen, sehr wohl auch um ein Versagen von oben. Das macht es für Europa in diesen schwierige­n Tagen nicht einfacher.

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FOTO: AFP Er feiert den Sieg: Jan Roos, Kopf der Initiative, die gegen das Abkommen mobil gemacht hatte.

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