Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Niederlande kehren Europa den Rücken
Mit dem Nein zum EU-Ukraine-Referendum wird auch die Regierung abgestraft
- Die niederländischen Wähler sagen Nein zum EU-Assoziationsvertrag mit der Ukraine. Doch es geht nicht allein um eine Ablehnung von unten, sondern auch um ein Versagen von oben. Das lässt wenig Gutes erahnen für die nächste Volksabstimmung über Europa im Juni in Großbritannien.
Es war ein merkwürdiges Zittern um die Wahlbeteiligung in den Niederlanden. Aber am späten Donnerstagabend war klar: Das notwendige Quorum von 30 Prozent der Stimmberechtigten wurde übertroffen; die Abstimmung ist verloren. Für die niederländische Regierung. Für die Ukraine. Und für Europa. Doch das eigentliche Ergebnis stand schon vorher fest. Europa kommt die Basis abhanden.
Zunächst ein Blick auf die Niederlande. Auch wenn sich der Rechtspopulist Geert Wilders jetzt für das Ergebnis feiern lässt – er hat dazu nur wenig beigetragen. Wilders ist für viele längst Establishment. Rechte Publizisten um den Blog „Geen Stijl“– übersetzt „kein Anstand“– hatten die Volksabstimmung angestrengt. Die neue Rechte setzt nicht auf den Marsch durch die Institutionen, sie bedient sich längst anderer Wege: Sie erobert die Straße und setzt auf den außerparlamentarischen Raum.
BRÜSSEL
Zaudern wird bestraft
Das Ergebnis fällt auch zurück auf Hollands Regierung und den liberalen Premier Mark Rutte. Das Ergebnis ist zwar rechtlich nicht bindend, aber Spannung in die blasse Koalition bringt es schon. Die Sozialdemokraten, Ruttes kleinerer Koalitionspartner, hatten angedeutet, den Ausgang des Entscheids respektieren zu wollen. Hollands Regierungsbündnis steht also vor ungewissen Zeiten. Ebenso wie Regierungschef Mark Rutte. Der ließ die Debatte um den EU-Vertrag mit der Ukraine lange treiben und griff im Verlauf der Kampagne erst spät ein. Zuletzt hofften er und Europa nur noch auf das Fernbleiben und eine Wahlbeteiligung unter 30 Prozent.
Die Konsequenzen hat nicht nur Rutte zu tragen, sondern auch die Europäische Union als Ganzes. Lange hat die EU in der Flüchtlingskrise allein auf den Süden geschaut, spätestens mit dem Votum in den Niederlanden ist die östliche Problemzone zurück.
Die EU-Ostpolitik war ohnehin nie von guten Vorzeichen begleitet. Dass sich die EU um die instabilen Länder an ihrem Rand wie Weißrussland, Moldawien, Georgien und die Ukraine bemüht, ist richtig. Ihr Vorgehen in dieser sensiblen Frage ist indes eher tapsig. Russland und seine Sicherheitsinteressen in der Region sind nicht ausreichend einbezogen worden. Aber Europas Verantwortung für die Länder an seinem östlichen Rand, für den Aufbau demokratischer Strukturen und für die Menschen bleibt. Gerade aus diesem Grund muss die EU ihre Ostpolitik überprüfen. Länder wie Georgien und die Ukraine haben ein Recht, ihren Weg zur Demokratie frei zu wählen. Aber ohne einen Gesprächsfaden mit Russland und seinem autokratischen Staatschef Wladimir Putin geht es nicht.
Das Abkommen mit der Ukraine – es geht im Wesentlichen um Handelserleichterungen im Gegenzug für wirtschaftliche und rechtsstaatliche Reformen – kann vermutlich durch ein paar Änderungen gerettet werden. Doch das niederländische Votum lässt wenig Gutes erahnen. In einem Referendum geht es selten nur um die Frage, die auf dem Wahlzettel steht. In Großbritannien hat sich Londons Bürgermeister Boris Johnson für einen Austritt des Landes aus der EU ausgesprochen und sich damit offen gegen Premier David Cameron gestellt. Spätestens seitdem gilt: Das britische Votum ist weniger ein Beschluss über die Zukunft des Landes in der EU als vielmehr eine landesweite Urabstimmung über die Führung der konservativen Regierungspartei. Es geht also nicht allein um eine Ablehnung von unten, sondern, wie Camerons und Ruttes unentschlossenes Vorgehen zeigen, sehr wohl auch um ein Versagen von oben. Das macht es für Europa in diesen schwierigen Tagen nicht einfacher.