Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Behörden bleiben Antworten schuldig
V-Mann beschäftigte wohl NSU-Mitglieder – Opferanwälte fordern Aufklärung
(dpa) - „Schwer erträglich“für die Mordopfer des NSU – so wertet der Münchner Rechtsanwalt Yavuz Narin, Nebenkläger im NSUProzess, die jüngsten Enthüllungen über das Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Demnach könnte ein V-Mann des Bundesamts für Verfassungsschutz Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in seinen Firmen beschäftigt haben. Das war in den Jahren, als das NSU-Trio im Untergrund lebte. Die eine Behörde – die Polizei – fahndet nach den dreien, eine andere – der Verfassungsschutz – arbeitet mit einem Mann zusammen, der die Gesuchten gleichzeitig bei sich beschäftigt?
Der V-Mann, um den es geht, heißt Ralf Marschner. Das Magazin „Der Spiegel“und die „Süddeutsche Zeitung“gehen seit Jahren der Frage nach, ob und wie gut er das NSU-Trio kannte. Die Chemnitzer „Freie Presse“titelte schon im Februar 2013: „Jobbte Beate Zschäpe in rechtem Szeneladen in Zwickau?“Letztlich ließen sich die Hinweise aber nie erhärten.
Jetzt sieht es so aus, als bestätige sich die Sache doch. Ein früherer Kompagnon Marschners erinnert sich, er habe im Jahr 2004 dessen Laden „Heaven and Hell“finanziert. Frage an den Kompagnon: „Kannten Sie die Mitarbeiterinnen, die dort arbeiteten?“Selbstbewusste Antwort: „Ja, alle.“Nachfrage: „War eine von ihnen Beate Zschäpe?“Antwort: „Darauf antworte ich nicht am Telefon.“Und dann, gleich darauf: „Ich habe nicht Nein gesagt.“Und dann schließlich: „Ich hätte ja auch Nein sagen können.“
MÜNCHEN
Vernehmungsprotokoll von 2012
Also ja? Das würde zu einem Aktenfundstück passen. Es betrifft die Vernehmung eines anderen Zwickauer Neonazis im Februar 2012, ebenfalls ein früherer Geschäftspartner Marschners. An einer Stelle dieses Vernehmungsprotokolls ist eine Frage der Vernehmer notiert, die eigentlich keine Frage ist, sondern eine Feststellung: „Es liegen Erkenntnisse vor, dass die Beate Zschäpe im Ladengeschäft ,Heaven and Hell‘ gearbeitet oder wenigstens (sic!) ausgeholfen haben soll.“
Das war während der Jahre, als der NSU mutmaßlich zehn Menschen ermordete. Neun Opfer wurden aus rassistischen Gründen ermordet. Der zehnte Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 ist bis heute rätselhaft. Im selben Jahr verschwand V-Mann Marschner aus Zwickau.
Eine müsste es genau wissen – Beate Zschäpe. Anfrage bei ihrem Anwalt Mathias Grasel: Er wolle die Information „weder bestätigen noch dementieren“. Beim Bundesverfassungsschutz antwortet eine Sprecherin nur, es gebe dazu „keine Erkenntnisse“– dieselbe Antwort wie auf die Frage, ob auch Uwe Mundlos für Marschner arbeitete.
Mundlos als Bauleiter eingesetzt
Das, so berichtet die „Welt“, soll ein paar Jahre vorher gewesen sein, in den Jahren 2000 bis 2002. Mundlos sei unter seiner Tarnidentität „Max Florian Burckhardt“von Marschner als Bauleiter eingesetzt worden – auf Baustellen in Nürnberg und München. Das „Welt“-Autorenteam um Stefan Aust berichtet: „Marschners Firma und damit Mundlos waren zu einer Zeit auf Baustellen im Raum Nürnberg und München aktiv, als dort die ersten von insgesamt zehn Morden des NSU verübt wurden.“Marschners Firma habe auch Mietfahrzeuge eingesetzt – einige an den Tagen, an denen die NSU-Mitglieder in Nürnberg einen Änderungsschneider und in München einen Obst- und Gemüsehändler erschossen haben sollen – Abdurahim Özüdogru und Habil Kilic.
„Der Ball liegt jetzt bei der Bundesanwaltschaft, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim Bundesinnenministerium und bei der Bundeskanzlerin“, sagt Nebenklage-Anwalt Narin. Sein Kollege Daimagüler erinnert an das Versprechen der Kanzlerin nach „voller Aufklärung“und sagt zugleich: „Jetzt versteht man die Aktion Konfetti.“So wird das Aktenschreddern im Bundesamt für Verfassungsschutz genannt, bei dem ausgerechnet Unterlagen über V-Mann „Primus“alias Ralf Marschner vernichtet wurden.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll Marschner 2002 abgeschaltet haben. Was es über sein neues Leben im Ausland weiß und ob es ihm beim Neustart half, gehört auch zu den Dingen, über die die Behörde nicht sprechen will. „Das sind operative Dinge“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage, „dazu äußern wir uns generell nicht.“Es ist genau diese Art von Antwort, die die Sache für die Mordopfer so schwer erträglich macht.