Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Behörden bleiben Antworten schuldig

V-Mann beschäftig­te wohl NSU-Mitglieder – Opferanwäl­te fordern Aufklärung

- Von Christoph Lemmer

(dpa) - „Schwer erträglich“für die Mordopfer des NSU – so wertet der Münchner Rechtsanwa­lt Yavuz Narin, Nebenkläge­r im NSUProzess, die jüngsten Enthüllung­en über das Umfeld des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“. Demnach könnte ein V-Mann des Bundesamts für Verfassung­sschutz Uwe Mundlos und Beate Zschäpe in seinen Firmen beschäftig­t haben. Das war in den Jahren, als das NSU-Trio im Untergrund lebte. Die eine Behörde – die Polizei – fahndet nach den dreien, eine andere – der Verfassung­sschutz – arbeitet mit einem Mann zusammen, der die Gesuchten gleichzeit­ig bei sich beschäftig­t?

Der V-Mann, um den es geht, heißt Ralf Marschner. Das Magazin „Der Spiegel“und die „Süddeutsch­e Zeitung“gehen seit Jahren der Frage nach, ob und wie gut er das NSU-Trio kannte. Die Chemnitzer „Freie Presse“titelte schon im Februar 2013: „Jobbte Beate Zschäpe in rechtem Szeneladen in Zwickau?“Letztlich ließen sich die Hinweise aber nie erhärten.

Jetzt sieht es so aus, als bestätige sich die Sache doch. Ein früherer Kompagnon Marschners erinnert sich, er habe im Jahr 2004 dessen Laden „Heaven and Hell“finanziert. Frage an den Kompagnon: „Kannten Sie die Mitarbeite­rinnen, die dort arbeiteten?“Selbstbewu­sste Antwort: „Ja, alle.“Nachfrage: „War eine von ihnen Beate Zschäpe?“Antwort: „Darauf antworte ich nicht am Telefon.“Und dann, gleich darauf: „Ich habe nicht Nein gesagt.“Und dann schließlic­h: „Ich hätte ja auch Nein sagen können.“

MÜNCHEN

Vernehmung­sprotokoll von 2012

Also ja? Das würde zu einem Aktenfunds­tück passen. Es betrifft die Vernehmung eines anderen Zwickauer Neonazis im Februar 2012, ebenfalls ein früherer Geschäftsp­artner Marschners. An einer Stelle dieses Vernehmung­sprotokoll­s ist eine Frage der Vernehmer notiert, die eigentlich keine Frage ist, sondern eine Feststellu­ng: „Es liegen Erkenntnis­se vor, dass die Beate Zschäpe im Ladengesch­äft ,Heaven and Hell‘ gearbeitet oder wenigstens (sic!) ausgeholfe­n haben soll.“

Das war während der Jahre, als der NSU mutmaßlich zehn Menschen ermordete. Neun Opfer wurden aus rassistisc­hen Gründen ermordet. Der zehnte Mord an der Polizistin Michèle Kiesewette­r 2007 ist bis heute rätselhaft. Im selben Jahr verschwand V-Mann Marschner aus Zwickau.

Eine müsste es genau wissen – Beate Zschäpe. Anfrage bei ihrem Anwalt Mathias Grasel: Er wolle die Informatio­n „weder bestätigen noch dementiere­n“. Beim Bundesverf­assungssch­utz antwortet eine Sprecherin nur, es gebe dazu „keine Erkenntnis­se“– dieselbe Antwort wie auf die Frage, ob auch Uwe Mundlos für Marschner arbeitete.

Mundlos als Bauleiter eingesetzt

Das, so berichtet die „Welt“, soll ein paar Jahre vorher gewesen sein, in den Jahren 2000 bis 2002. Mundlos sei unter seiner Tarnidenti­tät „Max Florian Burckhardt“von Marschner als Bauleiter eingesetzt worden – auf Baustellen in Nürnberg und München. Das „Welt“-Autorentea­m um Stefan Aust berichtet: „Marschners Firma und damit Mundlos waren zu einer Zeit auf Baustellen im Raum Nürnberg und München aktiv, als dort die ersten von insgesamt zehn Morden des NSU verübt wurden.“Marschners Firma habe auch Mietfahrze­uge eingesetzt – einige an den Tagen, an denen die NSU-Mitglieder in Nürnberg einen Änderungss­chneider und in München einen Obst- und Gemüsehänd­ler erschossen haben sollen – Abdurahim Özüdogru und Habil Kilic.

„Der Ball liegt jetzt bei der Bundesanwa­ltschaft, beim Bundesamt für Verfassung­sschutz, beim Bundesinne­nministeri­um und bei der Bundeskanz­lerin“, sagt Nebenklage-Anwalt Narin. Sein Kollege Daimagüler erinnert an das Verspreche­n der Kanzlerin nach „voller Aufklärung“und sagt zugleich: „Jetzt versteht man die Aktion Konfetti.“So wird das Aktenschre­ddern im Bundesamt für Verfassung­sschutz genannt, bei dem ausgerechn­et Unterlagen über V-Mann „Primus“alias Ralf Marschner vernichtet wurden.

Das Bundesamt für Verfassung­sschutz soll Marschner 2002 abgeschalt­et haben. Was es über sein neues Leben im Ausland weiß und ob es ihm beim Neustart half, gehört auch zu den Dingen, über die die Behörde nicht sprechen will. „Das sind operative Dinge“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage, „dazu äußern wir uns generell nicht.“Es ist genau diese Art von Antwort, die die Sache für die Mordopfer so schwer erträglich macht.

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