Schwäbische Zeitung (Tettnang)
JVA-Häftling will Landgericht lahmlegen
Gefangener ist mit Haftbedingungen nicht einverstanden und überschüttet Justiz mit Anträgen – Gericht zieht Bilanz für 2015
- Das Essen schmeckt nicht. Der Strom für das Radio ist zu teuer. In der Zelle geht man wegen der heißen Temperaturen fast ein. An diesen und noch hundert anderen Dingen hat sich ein Häftling der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ravensburg gestört. Also reichten er und weitere Häftlinge, die er zu seinen Kompagnons machte, unzählige Beschwerdeanträge beim Landgericht ein. Ihr Ziel: die Justiz ärgern und zum Erliegen bringen. Und die Ravensburger Richter hatten dadurch tatsächlich mehr Arbeit.
Wie das Landgericht Ravensburg bei seiner jährlichen Pressekonferenz am Donnerstag mitteilte, hielten die JVA-Gefangenen die Justiz im vergangenen Jahr ganz schön auf Trab. Auslöser war ein Mann, der wegen mehrfachen Kleinbetrugs einsaß. Er reichte teilweise bis zu zehn Beschwerdeanträge pro Woche ein – zu verschiedensten Zuständen im Gefängnis, die er anscheinend als unerträglich und unzumutbar empfand. Doch damit nicht genug. Der Querulant holte eine Handvoll weiterer Häftlinge mit ins Boot. Gemeinsam sorgten sie für eine Antragsflut im Landgericht.
RAVENSBURG
Spürbarer Mehraufwand
Die Folge: Alle Anträge mussten richterlich geprüft und entschieden werden. Für die Strafvollstreckungskammer, die für Angelegenheiten des Strafvollzugs – insbesondere für Beschwerden gegen die Justivollzugsanstalt – zuständig ist, bedeutete das eine Heidenarbeit. „Die Zahlen sind hier regelrecht explodiert“, sagt Thomas Dörr, Präsident des Landgerichts. Zum Vergleich: Pro Jahr sind es normalerweise zwischen 800 und 850 Verfahren, die bei den Strafvollstreckungskammern in Ravensburg eingehen. 2015 waren es mehr als 1000.
„Die Kammer war zeitweise überlastet“, meint der Gerichtspräsident. Um all die zusätzlichen Anträge bearbeiten zu können, musste laut Dörr „personell umstrukturiert“werden. „Es war interner Regelungsbedarf notwendig.“Also wurden Richter an anderer Stelle abgezogen und der Strafvollstreckungskammer zugeordnet. Für alle kam es dadurch zu einem spürbaren Mehraufwand. „Das hat zwei bis drei zusätzliche Verfahren pro Richter ausgelöst“, so Gerichtspräsident Dörr. Und warum das Ganze? „Der tonangebende Häftling hatte wohl vor, die Justiz mit seinen Anträgen zu blockieren“, meint Dörr, „aber gelungen ist ihm das nicht.“
Doch auch sonst hatten die 27 Richter am Landgericht Ravensburg im Jahr 2015 einiges zu tun. Dörr sagt: „Wir hatten ein hohes Belastungsniveau.“Der Grund dafür sei in der dünnen Personaldecke zu suchen und in der Tatsache, dass der Staat weniger Richter einstellt. Gemessen an den eingegangenen Fällen, würden dem Ravensburger Gericht etwa 4,5 Richter fehlen, rechnet Dörr vor. Er erklärt: „Wir haben eine personelle Unterdeckung.“An keinem anderen Landgericht in Baden-Württemberg sei das Richterproblem so groß wie in Ravensburg. „Wir sind aber nicht am Absaufen, sondern arbeiten auf einem guten Niveau“, meint der Präsident.
Zunahme bei Sexualstraftaten
Im Zivilbereich hat sich bei der Anzahl der Verfahren, die erstinstanzlich am Landgericht Ravensburg eingegangen sind, kaum etwas verändert: Im Jahr 2015 waren es 2003 Fälle, im Jahr zuvor 2013 Fälle. Anders bei den Strafsachen: Hier gab es einen leichten Anstieg von 67 auf 73 erstinstanzliche Verfahren. Laut Strafrichter Matthias Geiser seien „relativ viele“Sexualstraftaten verhandelt worden, darunter vor allem Fälle von Kindesmissbrauch. „Hier haben wir eine Häufung“, sagt Geiser. Allein in den großen Strafkammern seien es zehn Fälle an der Zahl gewesen, erklärt er.
Bei der Pressekonferenz kam Gerichtspräsident Thomas Dörr dann noch auf ein weiteres Problem zu sprechen: Es gebe zu wenig junge Volljuristen, die sich für eine Laufbahn am Gericht entscheiden. „Die meisten guten Leute gehen in die Wirtschaft oder zu großen Anwaltskanzleien“, bedauert Dörr. Dort bekämen sie mehr Geld. Deshalb plädiert der Gerichtspräsident für ein höheres staatliches Einstiegsgehalt der Richter. „Noch kann der Bedarf an Nachwuchs aber gedeckt werden“, so Dörr.