Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Düstere Zukunft

Wetterphän­omen „Dzud“lässt Tausende Tiere in der Mongolei verenden – Hunger droht

- Von Joanna Chiu

(dpa) - Einst hatte die Familie der mongolisch­en Hirtin Narmandakh Hunderte Schafe und Ziegen, jetzt sind es nur noch 76. Nach einer Dürre im Sommer ist eine Schneeund Eiskatastr­ophe, auf Mongolisch „Dzud“genannt, hereingebr­ochen und lässt ein Tier nach dem anderen verenden. „Rund 500 Tiere brauchen wir für unseren Lebensunte­rhalt, aber unter diesen Wetterbedi­ngungen ist es schwer, sie am Leben zu halten“, sagt die 24-jährige Narmandakh. Zusammen mit den fünf anderen Frauen ihrer Hirtenfami­lie lebt sie in einer abgelegene­n Bergregion in der zentralen Mongolei.

Mindestens 125 000 Stück Vieh sind bisher in der Kälte dieser Wintersais­on umgekommen. Der Dzud

ULSIIT habe bereits 98 Bezirke im Griff, 113 weitere der insgesamt 329 Bezirke könnten bald ebenfalls betroffen sein, sagt die Regierung in der Hauptstadt Ulan Bator. Etwa die Hälfte der Mongolen lebt von Viehwirtsc­haft. Jedes Stück Vieh ist rund 30 Dollar (27 Euro) wert. Wenn der Winter weiter so massiv anhält und noch mehr Tiere verhungern oder erfrieren, könnte die Arbeitslos­igkeit stark ansteigen. Für gewöhnlich bleibt es in dem zentralasi­atischen Land bis Mai sehr kalt.

Immer wieder Extremwint­er

Extremwint­er sind ein wiederkehr­endes Phänomen in der Mongolei. Zuletzt war das Nachbarlan­d zu China und Russland im Winter 2010 schlimm betroffen. Nach Unicef-Angaben verendeten damals mehr als sieben Millionen Tiere des Viehbestan­ds. Zwischen 1999 und 2010 summiert sich die Todeszahl auf mindestens 20 Millionen Stück Vieh.

Bei abendliche­n Durchschni­ttstempera­turen von minus 39 Grad könnten nun fast eine Million Menschen den Großteil ihrer Viehherden verlieren und in der Folge von Hunger bedroht sein, schätzt das meteorolog­ische Institut des Landes. Viele geben dem Klimawande­l die Schuld an der Häufigkeit von Dzuds in den vergangene­n Jahren. Die Durchschni­ttstempera­tur in der Mongolei sei seit 1940 um 2,1 Grad Celsius gestiegen, heißt es – weit stärker als im globalen Mittel.

Bis zu 30 Zentimeter hoher Schnee, zeitweise bis zu 90 Prozent des Landes eingeschne­it: Der Dzud habe die Mongolei in diesem Winter besonders stark getroffen, erläutert eine Sprecherin des Deutschen Wetterdien­stes (DWD). Das Wetterphän­omen hänge offenbar mit der Sommertroc­kenheit zusammen: Der letzte Sommer sei auffällig warm gewesen, es gab weniger als die Hälfte des durchschni­ttlichen Niederschl­äge, sagt die Sprecherin.

Dieser Befund decke sich mit einer generellen Tendenz: In der Mongolei steigen die Temperatur­en weiter rasant an. Bis Anfang des nächsten Jahrhunder­ts könnten die Durchschni­ttstempera­turen Prognosen zufolge im Winter um bis zu fünfeinhal­b Grad, im Sommer sogar bis zu sieben Grad zunehmen. „Durch die Viehzucht geht das Grasland weiter zurück, was die Effekte zusätzlich verstärkt“, sagt die DWD-Sprecherin. Die Wetterexpe­rten gehen davon aus, dass die extreme Sommertroc­kenheit und die Dzuds dann alle zwei Jahre auftreten könnten.

„Wir spüren den Klimawande­l in dieser Gegend“, sagt Uranchimeg, eine Hirtin in der Provinz Bajankhong­or. Es gebe weniger Vegetation, aber mehr Nagetiere im kürzeren Gras. „Das ist ein Riesenprob­lem, weil sie unserem Vieh das Gras wegfressen.“Die 51-jährige Mongolin besitzt etwa 600 Tiere, darunter Rinder, Schafe, Ziegen und ein paar Pferde. Ihren Herden gehe es gut, weil die Familie genug Geld für Futter habe, sagt Uranchimeg. Andere Hirten hätten weniger Glück. Auf der Suche nach Weideland müssten sie riesige Strecken zurücklege­n.

Laut Schätzunge­n des mongolisch­en Außenminis­teriums benötigt das Land rund 4,4 Millionen Dollar (vier Millionen Euro), um Notfallfah­rzeuge, warme Kleidung, Medizin und Nahrung für die Hirten zu finanziere­n sowie Heu, Futtermitt­el und Impfungen für das Vieh zu beschaffen. Dennoch hat die Regierung bislang nicht den Notstand erklärt.

„Wir haben drei Millionen Dollar zur Seite gelegt, um bei einer Katastroph­e reagieren zu können und erwarten, dass Hilfsorgan­isationen ungefähr zehn Millionen zur Verfügung stellen könnten“, sagt Robert Schoellham­mer,

Landesdire­ktor der Asiatische­n Entwicklun­gsbank. „Aber die Landesregi­erung muss den Notstand ausrufen, bevor wir handeln können“, sagt er. Das letzte Mal erklärte die Mongolei 2010 wegen eines Dzud den Notstand. Damals starben zeitweise 250 000 Tiere pro Woche.

Die in den Bergen lebende Hirtenfami­lie von Narmandakh ist für die nächsten Monate nicht gewappnet. Die Frauen sind auf Spenden der Nachbarn und der Regionalre­gierung angewiesen. „Wir wollen hier nicht weg. Wir mögen die frische Luft und die Natur und unsere Tiere“, sagt Narmandakh, die in ihrem dünnen Mantel vor Kälte zittert. Uranchimeg sieht das anders, obwohl sie relativ gut über die Runden kommt. „Wenn ich in der gegenwärti­gen Lage jung wäre, würde ich in die Stadt ziehen“, sagt sie.

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Eine kranke Ziege kämpft ums Überleben.

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