Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Auf wackligem Fundament

- Von Dirk Grupe d. grupe@ schwaebisc­he. de

In Deutschlan­d werden wieder mehr Babys geboren – die Nachricht klingt gut. Von einem Boom zu sprechen, ist aber fahrlässig, weil dadurch die Tatsache verschleie­rt wird, dass Deutschlan­d weiterhin vor dramatisch­en Herausford­erung steht hinsichtli­ch einer alternden und schrumpfen­den Bevölkerun­g.

Möglicherw­eise ist Deutschlan­d etwas familienfr­eundlicher geworden, inklusive verbessert­er Kinderbetr­euung und wirtschaft­licher Sicherheit. Dem stehen aber alarmieren­de Fakten gegenüber: Noch immer sterben mehr Menschen als geboren werden. Aktuell ist jeder Fünfte über 65 Jahre, langfristi­g wird es jeder Dritte sein. Der Aufwärtstr­end steht zudem auf wackeligem Fundament, da Frauen mit ausländisc­her Staatsange­hörigkeit hierzuland­e deutlich mehr Kinder zur Welt bringen als solche mit deutscher. Und: Um den Bevölkerun­gsschwund auszugleic­hen, müsste Deutschlan­d bis zu 500 000 Einwandere­r aufnehmen – jährlich.

Ein unrealisti­sches Szenario, wie die Flüchtling­skrise zeigt. Schon jetzt sorgen sich viele Menschen darum, ob die Neuankömml­inge in Arbeitsmar­kt und Gesellscha­ft integriert werden können. Und künftig treffen junge Einwandere­r mit einem anderen religiösen und kulturelle­n Hintergrun­d auf eine größer werdende Zahl älterer Menschen, die oft ängstliche­r und wenig flexibel auf Veränderun­gen reagieren.

Zuwanderun­g hatte in Deutschlan­d immer einen ökonomisch­en oder humanitäre­n Hintergrun­d, siehe Gastarbeit­er und Flüchtling­e. Sie verlief aber stets auch nach dem Zufallspri­nzip. Doch kann eine schrumpfen­de Bevölkerun­g langfristi­g ungeplante Einwanderu­ng verkraften? Oder braucht es – humanitäre Aspekte ausgenomme­n – auch qualitativ­e Koordinate­n? Ein modernes Zuwanderun­gsrecht wäre ein Fortschrit­t, würde aber nicht alle Probleme lösen. Denn eine Gesellscha­ft, der es an jungen, produktive­n Menschen mangelt, kann nicht weiter in der Vorstellun­g leben, ihren Wohlstand ungezügelt zu mehren. Auch hier braucht es Konzepte abseits tagespolit­ischer Kurzatmigk­eit.

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