Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Parsifal“-Dirigent verlässt Bayreuth
Wirbel bei den Bayreuther Festspielen: „Parsifal“-Dirigent Andris Nelsons abgereist
(dpa) - Wenige Wochen vor der Premiere muss die Festspielleitung in Bayreuth einen neuen „Parsifal“-Dirigenten suchen. Mitten in der Probenzeit verließ der Lette Andris Nelsons, der am 25. Juli als Dirigent der Wagner-Oper die Festspiele eröffnen sollte, den Grünen Hügel. Man habe der Bitte „mit Bedauern“zugestimmt, hieß es in einer Mitteilung der Festspiele. Unterschiedliche Auffassungen in verschiedenen Angelegenheiten hätten zu einer Atmosphäre geführt, die für alle Beteiligten nicht angenehm gewesen sei, teilte Nelsons Management mit.
(cis/sz) - Andris Nelsons hat hingeworfen. Nach Differenzen bei den RichardWagner-Festspielen verließ der lettische Dirigent schon vor Tagen Bayreuth. Er sollte die Neuproduktion von Wagners „Parsifal“in der Regie von Uwe Eric Laufenberg dirigieren. Der ausgesprochen sensible Pultstar fühlte sich kontrolliert und wollte sich den Umständen am Festspielhügel nicht weiter aussetzen.
Festspielleiterin Katharina Wagner hatte versucht, Nelsons zur Rückkehr zu bewegen. Vor allem für Laufenberg und sein Team ist das ein harter Schlag, die Zusammenarbeit mit Nelsons sei „großartig gewesen. Dieser Dirigent lebt die Musik, geht in ihr auf und das reißt alle mit“, sagt er im Interview mit Christa Sigg (siehe „Nachgefragt“).
Die Festspielleitung hat sich verpflichtet, keine Kommentare abzugeben. Festspielsprecher Peter Emmerich ließ lediglich verlauten: „Er ist verschwunden, und wir konnten ihn nicht zur Rückkehr bewegen.“ BAYREUTH/RAVENSBURG
Die Rolle des Musikdirektors
Nelsons ist kein Bayreuth-Debütant. Bereits 2010 hatte er die „Lohengrin“-Premiere in der Regie von Hans Neuenfels dirigiert. Und nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass die Oper mit den putzigen Nagetierchen in der Publikumsgunst von Jahr zu Jahr stieg. Insofern kennt er das Prozedere am Grünen Hügel. Neu sind die deutlich verschärften Sicherheitsvorkehrungen.
Und noch etwas ist anders: Seit 2015 ist Christian Thielemann Musikdirektor. Der Leiter der Sächsischen Staatskapelle steht in diesem Jahr wieder selbst am Pult in Bayreuth. Er dirigiert „Tristan und Isolde“. Aber als Musikdirektor fühlt er sich auch für die anderen Aufführungen verantwortlich. Er besucht regelmäßig die Proben seiner Kollegen.
Angeblich soll es nicht bei Anregungen geblieben sein, berichtet Manuel Brug in der Zeitung „Die Welt“: „Wenn der konziliante, sanfte Andris Nelsons also nicht mehr mag, dann muss ein ernstes Problem vorliegen. Und das heißt ganz offensichtlich: Christian Thielemann.“Angeblich habe Thielemann bei Chorproben hineingeredet, bis Orchester und Chor schließlich das machten, was er wollte. Thielemann, schreibt Brug, sei „musikalisch toll, menschlich ein Problembär“.
Und jetzt?
Andris Nelsons, zwar erst 36 Jahre alt, zählt schon zur ersten Garde der Dirigenten. Der Lette ist Chef des Boston Symphony Orchestra und übernimmt 2018 auch die Leitung des Leipziger Gewandhausorchesters. Auch mit Wagner und speziell mit der „Parsifal“-Partitur ist Nelsons wohl vertraut: Im Birmingham hatte er den „Parsifal“konzertant aufgeführt, das Vorspiel zum ersten Akt und den Karfreitagszauber erst unlängst im Rahmen eines Konzerts mit den Berliner Philharmoni- kern dargeboten
Die Frage ist jetzt: Wie geht es bei den aktuellen Richard-Wagner-Festspielen weiter? Am 25. Juli ist Premiere. Woher so schnell einen Dirigenten nehmen für dieses Mammutwerk, vor dem selbst erfahrene Dirigenten zurückschrecken. „Es muss natürlich ganz schnell eine Entscheidung fallen“, sagt Toni Schmid, Ministerialdirigent und Chef des Verwaltungsrats der Festspiele. Einen passenden Kandidaten hat er aber nicht, das operative Geschäft sei nicht die Aufgabe des Gremiums. „Die Festspielleitung setzt sich jetzt sehr schnell ans Telefon“, sagt Festspielsprecher Emmerich. Natürlich gebe es eine Liste mit Kandidaten, welche Namen aber da drauf stehen, das will er nicht sagen. Es muss jedenfalls einer sein, der Zeit hat. Und der nicht nur mit der aufgeladenen Geschichte umgehen kann, sondern auch mit der aktuellen Anspannung.
Der Bayerische Rundfunk zitiert „Festspielkreise“, die vermuten, dass auch Thielemann selbst am Pult stehen könnte. Nach Einschätzung von Bayreuth-Experten würde das durchaus dem Job-Profil des Musikdirektors entsprechen.