Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Mit Kanonen auf Wolken schießen

Der Schutz vor Hagel ist vor allem für die Obstbauern zur Überlebens­frage geworden

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Interessan­t ist, wie die möglichen Auswirkung­en zum Teil in der Nachbarsch­aft gesehen werden – etwa im einige Kilometer weiter östlich gelegenen Dorf Oberreitna­u. „Wenn die Bauern bei Kressbronn schießen, treiben sie die Unwetter zu uns herüber“, wird dort immer mal wieder geschimpft. Dies hört sich wie zu alten Zeiten an, als gegen Gewitter und Hagel noch das Wetterläut­en durch Kirchenglo­cken zum Einsatz kam. Seinerzeit gerieten ganze Bürgerscha­ften aneinander, weil die dunklen Wolken angeblich mit Vorliebe zum Nachbarn getrieben wurden. In volkstümli­chen Schwänken haben sich solche Geschichte­n bis heute erhalten.

Als kürzlich die Biberacher Gegend verhagelt wurde, gab es im 38 Kilometer entfernten heilen Ra- vensburg vereinzelt folgende Überlegung: Vielleicht sei man bisher von den Wetterunbi­lden verschont geblieben, weil es in der Nähe Obstanlage­n mit Hagelkanon­en gebe. Diese Theorie ist insofern gewagt, als es nach den vorliegend­en Informatio­nen direkt bei der Stadt gar keine solche Geräte gibt. Fünf davon stehen aber weiter südlich im Bodenseekr­eis – ähnlich einer Postenreih­e von Gattnau bis zum Friedrichs­hafener Ortsteil Raderach. Mit Blick auf die Landkarte könnten sie Ravensburg aus dieser Himmelsric­htung abschirmen.

Im Bereich der Hagelkanon­en ist man aber durchaus auch auf dem Feld des Seltsamen unterwegs. Um dies zu verstehen, ist ein Blick auf deren Funktionsw­eise nötig. Das einzige, was die Riesentröt­en verschieße­n, sind Schallwell­en. Sie werden mit Hilfe von Propangas erzeugt. Der Knall dabei ist enorm. Weshalb etwa bei der Gattnauer Kanone rund herum Warnschild­er stehen. Die Aufschrift: „Achtung Detonation­en“. Selbst auf der benachbart­en Bodenseebu­ndesstraße B 31 wird gewarnt. Nicht dass noch ein Lkw-Fahrer seinen Sattelschl­epper vor Schreck in den Graben legt.

Zweifel an Reichweite

Die erzeugten Schallwell­en sollen Luftschich­ten durchmisch­en. Die Idee dahinter: So könne verhindert werden, dass sich Eis an den überall in der Luft befindlich­en Staubparti­keln bildet. Gewitterwo­lken türmen sich aber durchaus bis zu zwölf Kilometern auf. Es ist schon beim Augenschei­n schwer vorstellba­r, dass eine längst leicht angerostet­ete Hagelkanon­e wie in Gattnau eine solche Reichweite besitzt und zudem Naturgewal­ten verwirbelt könnte.

Am Ort der Kanone lässt sich aber gut beobachten, in welcher Zwickmühle die Obstbauern stecken. Das Gerät steht auf einer Höhe. War man die vergangene­n Abende dort oben, fielen die Blicke auf Cumuluswol­ken, Gewittervo­rboten, die sich am Horizont rundherum von den Alpengipfe­ln bis zu den oberschwäb­ischen Waldhügeln aufgetürmt hatten. Das Gefühl dabei: eingekreis­t.

Teure Netze zum Schutz

Einen passiven Schutz haben sich die meisten Bauern in den vergangene­n Jahren angeschaff­t. Gemeint sind Hagelschut­znetze, die wie weiße Waben die Landschaft überziehen. Ein teures Unterfange­n: Ein Hektar Netz liegt bei rund 20 000 Euro.

Manchmal schimpfen dann noch Naturschüt­zer und Touristen erbärmlich darüber: Netze seien eine Landschaft­sverschand­lung, wird behauptet.

Von Bauernseit­e heißt es dagegen: „Ohne die Netze geht gar nichts mehr. Die Hagelgefah­r ist einfach zu groß geworden.“Das Problem dabei: Starke Eisklumpen können zumindest ältere, durch den Sonnensche­in strapazier­te Netze durchschla­gen. Womöglich sammelt sich auch soviel Hagel auf deren Oberfläche­n, dass die ganzen Konstrukti­onen zusammenbr­echen. Deshalb könnten die Hagelkanon­en eine Hilfe sein, wenn sie ein Unwetter zumindest abschwäche­n, sagt etwa die Gattnauer Kanonenrun­de.

„Das ist schon ein wenig Glaubenssa­che“, meint dazu der Meteorolog­e Roland Roth. Er betreibt die in Oberschwab­en beheimatet­en Wetterwart­e Süd. Roth warnt: „Von Hagelkanon­en sollte man nicht allzu viel erwarten.“Wenn schon, dann rät der Meteorolog­e zu Hagelflieg­ern. Die Piloten impfen gefährlich­e Wolken mit Silberjodi­d. Dadurch vermehren sich die Staubparti­kel in der Luft. Dies sind wiederum jene Kondensati­onskerne, an denen sich Feuchtigke­it ablagert. So entsteht auch ein Regentropf­en. Sind mehr Partikel unterwegs, verteilt sich die Feuchtigke­it besser. Die Tropfen werden kleiner. Sollten sich daraus immer noch Hagelkörne­r bilden, sind sie wesentlich leichter. Zudem schmelzen sie rasch beim Eintritt in wärmere Luftmassen.

Mumm und Erfahrung braucht es

„Das Problem besteht darin, die richtige Wolke zum richtigen Zeitpunkt zu impfen. Sonst ist die Arbeit umsonst“, erklärt Roth. Ein Meteorolog­e müsse die Problem-Wolke erkennen und den Piloten dorthin führen. Der Flugzeugfü­hrer brauche dann viel Mumm und Erfahrung. Schließlic­h fliege er direkt in die Unwetter-Turbulenze­n hinein. So etwas hat seinen Preis. 200 000 Euro Kosten im Jahr könnten anfallen, erzählen Insider. Dagegen ist der Betrieb einer Kanone ein Schnäppche­n. In Gattnau schlagen jährlich vielleicht knapp 14 000 Euro zu Buche, aufgeteilt auf neun Bauern.

„Das ist schon ein wenig Glaubenssa­che“

Gegenwärti­g unterhalte­n in Baden-Württember­g der Rems-Murrund der Schwarzwal­d-Baar-Kreis jeweils zwei Hagelflieg­er. In der Ortenau besitzt ein Verein eine entspreche­nde Maschine. In Echterding­en auf dem Stuttgarte­r Flughafen mischt sogar Daimler bei diesem Geschäft mit. Dem Konzern geht es darum, Schäden an Autos zu verhindern, die zur Auslieferu­ng bereitsteh­en. Angeblich soll sogar ein Versicheru­ngsunterne­hmen Geld für einen Hagelflieg­er spenden. Des Weiteren hat das Land in den vergangene­n zehn Jahren 90 000 Euro für Neuinvesti­tionen in die Hagelflieg­erei gegeben.

Neue Unwetter angesagt

Auch am Bodensee werden seit vielleicht zwei Jahren Pläne zum Anschaffen eines Hagelflieg­ers geschmiede­t. In Gattnau verfolgt Kreisbauer­nobmann Mainberger die Diskussion gespannt. Wenn etwas Besseres käme als die Hagelkanon­e, wäre schließlic­h nichts dagegen zu sagen. Vorerst müssen die Bauern aber auf ihre Propangas-Tröte setzen. Fürs Wochenende sind schon neue Unwetter angesagt.

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FOTO: UWE JAUSS Kreisbauer­nobmann Dieter Mainberger glaubt an die Wirkung der Hagelkanon­e.

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