Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Blut und Tränen

Literaturw­ettbewerb in Klagenfurt: Der Ingeborg-Bachmann-Preis wird 40 – und war immer gut für Skandale

- Von Daniel Hadrys

- Nun lesen sie wieder: Der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt hat begonnen. Als erste Leserin ging die österreich­ische Kandidatin an den Start: Stefanie Sargnagel, die durch ihre frech-obszönen Texte im Netz bekannt geworden ist. Einen Skandal hat es nicht gegeben. Dabei kann der Literaturw­ettbewerb in seinem 40-jährigen Bestehen auf eine durchaus turbulente Geschichte zurückblic­ken.

Das Blut, es tropft nicht, es läuft. Von seiner Stirn rinnt es die Nase entlang, es sammelt sich in einer Pfütze auf dem Blatt Papier vor ihm. Doch Rainald Goetz liest weiter, nachdem er sich die Stirn mit einer Rasierklin­ge aufgeritzt hat. Er liest sich in Rage, er schreit das geschockte Publikum im Landesstud­io Kärnten des ORF in Klagenfurt beinahe an. KLAGENFURT

Punk und Literatur

Die Lesung des Münchener Autoren bei der siebten Auflage des IngeborgBa­chmann-Preises war mehr Punkkonzer­t als bloße Rezitation eines selbstverf­assten Textes. Diese Szene ist zu einer Ikone des Lesewettbe­werbs geworden, der in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiert. In den vergangene­n vier Jahrzehnte­n war er schon immer gut für Skandale.

1976 wurde der Preis von der Kärntner Landeshaup­tstadt Klagenfurt gestiftet, seit 1977 lesen Autoren in der Geburtssta­dt der Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann vor einer Fachjury von Literaturk­ritikern und -Wissenscha­ftlern, müssen mit anhören, wie ihre Texte zerpflückt werden. Am Ende winkt ein Preisgeld.

Goetz' Text, mit dem er 1983 antrat (da saß Marcel Reich-Ranicki noch in der Jury und Aschenbech­er lagen auf den Kritiker-Tischen) war wütende Zustandsbe­schreibung des Literaturb­etriebs. Anlass dazu bot die Veranstalt­ung von Anfang an. Das Gerücht, der Gewinner stünde schon vorab fest, veranlasst­e den Veranstalt­er 1977 zu Unschuldsb­eteuerunge­n. In Briefen versichert­e er den eingeladen­en Autoren, dass dies nicht stimme.

Sigrid Löffler, Autorin für das österreich­ische Nachrichte­nmagazin „Profil“, bezeichnet­e den Bachmann-Preis als „würdeloses Wettlesen, bei dem eines auf der Strecke blieb – die Literatur“, und vor allem „einer profitiert­e – der SuhrkampVe­rlag. Drei Pferdchen aus dem Suhrkamp-Stall (Jonke, Fröhlich, Laederach) als Bestplatzi­erte, ein Pferdchen (Struck) sensatione­ll gestürzt – Stallbesit­zer Unseld wird sich gratuliere­n dürfen“, schrieb Löffler am 28. Juni 1977.

Im Landesstud­io selbst gab es früh den ersten Eklat. Jury-Mitglied Reich-Ranicki sorgte mit unnötiger Härte für die weinende Teilnehmer­in Karin Struck. „Wen interessie­rt schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruier­t“, urteilte er über Strucks Text, der keine Literatur, sondern „ein Verbrechen“sei. Struck flüchtete unter Tränen aus dem Saal.

Eine Bühne für die Literatur

Der Bachmann-Preis war schnell zur Bühne geworden. Die Autoren wussten darum und nutzten das öffentlich­e Setting zur Selbstinsz­enierung, textlich und szenisch. Goetz’ Beispiel ist wohl das extremste. Philipp Weiss verarbeite­te 2009 mit „Blätterlie­be“die Unzufriede­nheit eines Schriftste­llers mit seinem Werk. Allzu schlecht kann es nicht gewesen sein, so rein geschmackl­ich. Nach der Lesung verleibte Weiss sich seinen Text ein – wortwörtli­ch. Er aß sein Manuskript.

Der Schweizer Urs Allemann sorgte mit seinem Text 1991 gar für politische Diskussion. Allemanns imaginiert­e Wunschfant­asie eines Pädophilen trägt den Disput schon im platten Namen - die Geschichte heißt „Babyficker“.

Oftmals entsteht der Eindruck, die Veranstalt­er kalkuliert­en den Skandal. Im vergangene­n Jahr hat Jury-Vorstand Hubert Winkels WeltAutori­n und Bloggerin Ronja von Rönne eingeladen, die im Frühjahr 2015 mit ihrem Pamphlet „Warum mich der Feminismus anekelt“für einen Shitstorm gesorgt hatte. Doch von Rönne war handzahmer als angenommen (oder gehofft).

Die Bühne für Autoren ist jedoch kostspieli­g, rund 750 000 Euro kostet es den ORF Jahr für Jahr. 2013 war unklar, ob der Bachmann-Preis überhaupt seinen nächsten runden Geburtstag erleben würde, der öffentlich-rechtliche Sender wollte aus Kostengrün­den aussteigen. Doch die Verantwort­lichen entschiede­n sich dagegen.

Überrasche­nd brav

Nun also hat der Bachmann-Preis die 40 erreicht, ein saturierte­s, gesetztes Alter. Altersmild­e ist er dennoch nicht geworden. Dieses Jahr gehört die junge österreich­ische Satirikeri­n und Bloggerin Stefanie Sargnagel zum Teilnehmer­feld. Sie ist für ihren derben Humor bekannt. Im vergangene­n Jahr hat sie für den Bayerische­n Rundfunk einen Nachberich­t zum Bachmann-Preis geschriebe­n. Titel: „Wie Deutschlan­d sucht den Superstar für Streber“.

Mit ihrem Text „Penne vom Kika“hat Sargnagel den Wettbewerb am Donnerstag­morgen eröffnet. Die selbstrefl­exive Geschichte einer gelangweil­ten jungen Frau, die sich der Gesellscha­ft verweigert und nach einem Thema für ihren Wettbewerb­sBeitrag sucht, erntete überwiegen­d positive Kritik. Der Skandal blieb aus. Jury-Vorsitzend­er Hubert Winkels fühlte sich dennoch an Rainald Goetz erinnert. Blut floß diesmal dennoch nicht.

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FOTOS: DPA Rainald Goetz bei seinem berühmt- berüchtigt­en Auftritt beim BachmannWe­ttbewerb 1983.

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