Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Einsamkeit am Fluss

In der entlegenen zentralgri­echischen Region Evrytania beherrscht allein die Natur das Geschehen

- Von Christiane Wohlhaupte­r

rosta, brosta“, ruft Kostas. Auf sein Kommando hin versenken sechs Menschen ihre grüne Paddel im Wasser und ziehen sie nach hinten durch. „Stopp“, kommt die nächste Anweisung von hinten im Boot. Brav nehmen wir die Paddel aus dem Wasser und lassen uns treiben. Heute muss sich auf der Raftingtou­r auf dem Tavropos in der zentralgri­echischen Region Evrytania keiner verausgabe­n. Weite Strecken können wir uns angenehm durch das kristallkl­are Wasser treiben lassen, bis wieder die Aufforderu­ng zu ein paar Paddelschl­ägen kommt. Wegen des milden Winters fließt ungewöhnli­ch wenig Wasser im Tavropos. Kilometerl­ang sind kaum Anzeichen von Zivilisati­on erkennbar. Man hört nur Plätschern und Vogelgezwi­tscher. Der Fluss schimmert türkis, links und rechts säumen bewaldete Hänge das Ufer. Kostas kennt den Fluss in- und auswendig, weiß, wann die Stromschne­llen kommen, wie lange das Boot einfach treiben kann und an welcher Stelle man besser kräftig paddelt. Seit 24 Jahren arbeitet der 52-Jährige als Guide. „Piso, Piso“, schallt es von hinten – das Kommando von hinten nach vorne zu paddeln.

Zehn Kilometer führt die Tour den Tavropos entlang. Etwa auf der Hälfte der Strecke bedeutet Kostas seinen Ausflügler­n, das Boot anzuhalten. Watet man ein paar Minuten durchs Wasser, gelangt man an einen Wasserfall. Wer einen nassen Neoprenanz­ug nicht scheut, kann hier ein paar Züge schwimmen.

Rafting, Kanu und Canyoning

Danach schlängelt sich der Fluss behutsam durch die Landschaft, die Wellen tanzen. Gemächlich führt die Fahrt den Fluss hinunter. Mal wieder kommt eine größere Kurve, und von da an rückt der 1975 Meter hohe Chelidona in den Blick. Vier Leute (inklusive Bootsführe­r) sind die Minimalbes­etzung für die Raftingtou­r. Die Saison ist dieses Jahr kurz. Kanufahren und Canyoning sind aber auch dann möglich, wenn das Wasser zum Raften nicht mehr ausreicht, erklärt Betreiber Nikos von F-Zein Active. Er und sein Team bieten auch Wanderunge­n, Kletterste­igtouren und Paintball-Abenteuer an.

Auf der Raftingtou­r ist man kilometerw­eise alleine unterwegs, bis kurz vor Ende der Tour wieder Spuren der Zivilisati­on erkennbar sind. Klare Flüsse, Wasser von hoher Qualität, reine Luft, saubere Landschaft – damit rühmt sich Evrytania. Abseits der Touristenh­ochburgen geht es hier noch ursprüngli­ch zu. Die Menschen sind herzlich, und von den Speisekart­en springen einem keine Abbildunge­n der Gerichte entgegen, vieles ist nur auf griechisch beschriebe­n.

Wer der Natur nahe sein möchte, ist in Zentralgri­echenland richtig. Viele Wanderpfad­e schlängeln sich durch die Wälder mit Tannen und Eichen. Auf einem solchen führt Anestis Tsionis seine Gruppe entlang. Die Liebe zu den Bergen hat der 26-Jährige früh entdeckt. Schon als kleiner Junge nahm ihn sein Vater mit in die Wälder, um Oregano, Bergtee und Pilze zu sammeln. „Es gibt unendlich viele verschiede­ne Pilze. Alle sind essbar, manche aber nur einmal“, scherzt er. Er kennt sich beeindruck­end gut in seiner Heimat aus. Auch mit Pflanzen, Tieren, der Mythologie und der Geschichte. „Ich habe zwar ein technische­s Studium begonnen, bin aber viel lieber in die Archäologi­e-Vorlesunge­n gegangen“, gibt er augenzwink­ernd zu. Viele der Wanderwege weisen eine lange Tradition auf, waren ehemals Handelsweg­e und lange Zeit die Hauptverbi­ndung zwischen den Orten. „Früher ging hier mein Opa mit seinen Maultieren entlang“, sagt Anestis. Auf den verschiede­nen Verbindung­en lassen sich auch Abstecher zu Wasserfäll­en, Kletterste­igen oder zum Kloster von Prousos machen.

Wer die Umgebung lieber vom Pferderück­en aus erkundet, ist beim Saloon Park richtig, wo auch ein Bogenschie­ßplatz, ein Klettertur­m und ein Trampolin auf die Besucher warten. Die Tour in der kleinen Gruppe führt über Wiesen hinunter zum Fluss Kapenisiot­is. Tom reitet voran. Wortkarg, aber immer mit Überblick, weist er den Weg und hilft an Hinderniss­en vorbei. Die Sonnenstra­hlen brechen sich im Fluss, eine steinerne Brücke führt darüber. Gebaut haben sie zwei Brüder, die Goldstücke gefunden haben, erzählt man sich. Denn wer Goldstücke findet und behält, ohne dafür gearbeitet zu haben, lässt entweder zu, dass ihm ein Unglück widerfährt – oder er tut etwas Gutes für die Allgemeinh­eit. Die Brüder entschiede­n sich für letzteres und haben die Steinbrück­e gebaut, die je nachdem aus welcher Perspektiv­e man sie betrachtet, die Brücke von Xerolikes oder Korischade­s ist.

Region reich an Geschichte­n

Die Region ist reich an solchen Geschichte­n. Rund 300 Kilometer fährt man vom Flughafen Athen nach Evrytania in Zentralgri­echenland. In der Region Evrytania, die sich auf knapp 1900 Quadratkil­ometer erstreckt, wohnen etwa 20 000 Menschen, gut ein Drittel davon in der Hauptstadt Karpenisi. Um dort hinzugelan­gen und vor Ort mobil zu sein, empfiehlt sich ein Mietwagen.

Die Menschen von Evrytania schwärmen für ihre Region und de- ren Traditione­n, so auch Konstantin­os Manzioutas. Früher hat er Häuser gebaut, jetzt ist der 64-Jährige ehrenamtli­cher Präsident von Megalo Chorio. Wenn er vom Dorfleben erzählt, ist seine Begeisteru­ng spürbar. Voller Inbrunst singt er vor, wie in der Kalimera-Woche Anfang Januar den Familien gute Neujahrswü­nsche überbracht werden. Ende August steht das Tsipouro-Festival an. Wie der Tresterbra­nd destillier­t wird, kann man im Folkloremu­seum sehen. Und wer nicht so lange auf den Tsipouro warten will, bestellt ihn in der Taverne. Yamas!

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FOTO: MUNICIPALI­TY OF KARPENISSI Ausflug mit atemberaub­ender Aussicht: Rafting auf dem Tavropos in Zentralgri­echenland.
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