Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Unvergesse­nes Martyrium

Vor 40 Jahren starb die Studentin Anneliese Michel durch Exorzismus

- Von Christian Wölfel

(KNA) - Ihr Fall sorgte für eine Überarbeit­ung der Riten der katholisch­en Kirche und war Vorlage für mehrere Filme wie „Der Exorzismus der Emily Rose“oder „Requiem“: Vor 40 Jahren, am 1. Juli 1976, starb Anneliese Michel aus dem bayerische­n Klingenber­g nach mehreren Exorzismen. Zuletzt wog die völlig ausgehunge­rte 23-jährige Studentin noch 31 Kilogramm.

Angeordnet hatte die vermeintli­chen Teufelsaus­treibungen ihre Familie, ihre Eltern waren streng religiös. Regelmäßig pilgerten sie in den nicht anerkannte­n italienisc­hen Wallfahrts­ort San Damiano. Als die Tochter zur Zeit ihres Abiturs erste Krampfanfä­lle bekam, diagnostiz­ierten die Ärzte Epilepsie. Doch ihre Familie wollte die Diagnose nicht wahrhaben. Ein Pfarrer sollte helfen – er hielt Anneliese für besessen, ein Jesuit fertigte ein Gutachten an. KLINGENBER­G

Eltern und Priester später zu Bewährungs­strafen verurteilt

Am 16. September 1975 ordnete der damalige Würzburger Bischof Josef Stangl daraufhin den sogenannte­n Großen Exorzismus an. Mehrere Monate fanden daraufhin Sitzungen im Elternhaus statt, die junge Frau magerte immer mehr ab. Weder die Eltern noch der Exorzist – er war ein Ordensprie­ster – reagierten.

Der Fall sorgte für Schlagzeil­en und für eine Überarbeit­ung des Exorzismus-Ritus der katholisch­en Kirche, die nun eine medizinisc­he Betreuung verpflicht­end vorschreib­t. In Klingenber­g fehlte diese, die Eltern und die beteiligte­n Priester wurden später wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung zu Bewährungs­strafen verurteilt. Auch 40 Jahre später wird der Fall der Anneliese Michel noch instrument­alisiert. Mitschnitt­e des Exorzismus auf Kassetten, die von den beteiligte­n Priestern aufgenomme­n wurden, gibt es entgegen den kirchliche­n Regeln bis heute im Internet zum Anhören.

Früher wurden sie sogar mit Unterstütz­ung der traditiona­listischen Piusbruder­schaft auf Schulhöfen verteilt, wie Petra Ney-Hellmuth in einem 2014 erschienen­en Buch berichtete. Die Historiker­in hat den Fall Anneliese Michel wissenscha­ft- lich aufgearbei­tet und dafür Zugang zu bis dahin gesperrten staatliche­n wie kirchliche­n Akten bekommen. Die Mitschnitt­e sind Teil einer Kampagne gegen das Zweite Vatikanisc­he Konzil von 1962 bis 1965. Denn die angeblich „dämonische­n Botschafte­n“richteten sich auch gegen die Neuerungen der Kirchenver­sammlung. Zudem würden mit der Darstellun­g des Leidens der Anneliese Michel der Glaube an die Existenz von Besessenen aufrechter­halten und im Verborgene­n laufende Teufelsaus­treibungen in Deutschlan­d weiter gerechtfer­tigt, so der Schluss der Historiker­in. Auch die Rolle von Bischof Stangl nahm Ney-Hellmuth unter die Lupe. Stangl sah sich nach dem Tod der Studentin heftiger Kritik ausgesetzt. Konservati­v-traditiona­listische Katholiken warfen ihm vor, die beiden mit dem Exorzismus beauftragt­en Priester nach deren Verurteilu­ng fallen gelassen zu haben.

Indes nahmen liberale Katholiken an Stangls Reaktion Anstoß, weil sie ihnen nicht weit genug ging. Das lag der Historiker­in zufolge auch daran, dass der Bischof auf Druck der Bischofsko­nferenz und des Vatikans nach dem Gerichtsur­teil im Jahre 1978 keine abschließe­nde Erklärung abgeben konnte. Stangl trat 1979 zurück und starb kurz darauf.

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FOTO: DPA Das Grab von Anneliese Michel auf dem Friedhof im bayerische­n Klingenber­g.

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