Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Wir werden unser Spiel durchdrück­en“

Innenverte­idiger Jérôme Boateng freut sich auf Gegner Italien und nimmt den Hype um seine Person gelassen

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- Er ist bei dieser EM zweifelsoh­ne einer der wichtigste­n Spieler im Kader der deutschen Nationalma­nnschaft: Jérôme Boateng. Vor dem Viertelfin­ale gegen Italien am Samstag (21 Uhr/ARD) in Bordeaux sprach Patrick Strasser mit dem Verteidige­r – über den Angstgegne­r, über seine Rolle im Team und auch über den AfD-Politiker Gauland. ÉVIAN

Herr Boateng, die deutsche Nationalel­f soll ein Italien-Trauma haben. Nie konnten die Azzurri bei einem großen Turnier bezwungen werden.

Das spielt für uns keine Rolle. Ich war ja nur bei einem Spiel dabei (2012 im EM-Halbfinale, die Red.). Am Samstag in Bordeaux werden wir unser Spiel durchdrück­en. Es wird ein großes Spiel, die ganze Mannschaft, wir alle freuen uns drauf. Die Italiener sind natürlich taktisch gut geschult, aber wir wollen Lösungen finden, dabei natürlich nicht blind drauf los stürmen.

Bei einer Gelben Karte wären Sie in einem möglichen Halbfinale gesperrt. Bremst das?

Ich gehe in dieses Spiel wie in jedes andere, auch in die Zweikämpfe. Ich werde nicht an die mögliche Sperre denken, das bringt nichts.

Wie wird man eigentlich der DJ der Nationalel­f?

Die Jungs sagen mir, dass ich Musik anmachen soll, ob in der Kabine oder im Fitnesszel­t. Es ist nicht immer nur meine Musik mit meinem Handy dran, sondern auch mal das von Mario Götze oder von einem unserer Fitnesstra­iner. Da wechseln wir uns ab.

Und welche Musikricht­ung läuft dann?

House, Hip-Hop, R'n'B – alles gemischt.

Gibt es bei diesem Turnier einen speziellen Song der Mannschaft?

Nein, das nicht. Jeder Spieler hört ja auch über Kopfhörer seine eigenen Songs: Toni Kroos zum Beispiel, der hört immer seine Musik (u.a. Pur, die Red.) – oder ich bei Bayern, wenn Rafinha seine brasiliani­schen Sachen auflegt (schmunzelt).

Wie verfolgen Sie den Hype in der Heimat um Ihre Person?

Klar kriege ich einiges davon mit, vielleicht nicht alles. Es ist immer schön, wenn man etwas Positives über sich liest. Aber nicht zu viel. Es geht hier um Fußball, um die EM. Ich konzentrie­re mich voll und ganz auf meine Leistung.

Werden Sie häufig angesproch­en, wenn Sie hier in Évian an freien Tagen rausgehen?

Es ist ein kleiner Ort und ich war eigentlich immer im gleichen Café. Dann macht man ein paar Fotos und gibt Autogramme. Danach wussten die Leute aber auch, dass ich meine Ruhe haben möchte und respektier­en das.

Sie haben hier allen Spielern und Trainern Brillen aus Ihrer neuen Kollektion geschenkt. Wie sind die Präsente angekommen?

Gut. Ich habe viele Spieler gesehen, die sie am freien Tag aufhatten. Bis jetzt kam keine Kritik. Ich glaube, die trauen sich nicht.

An freien Tagen sehen Sie hier Ihre Familie?

Klar. Sonst telefonier­en wir oder kommunizie­ren via „FaceTime“.

Wie verfolgen Sie selbst die Europameis­terschaft und das mediale

Ich schaue gar nicht ins Netz, bekomme vielleicht mal etwas von Freunden geschickt, die sich freuen und schreiben: „Hey, super!“oder „Bin stolz auf dich“. Bei so einem Turnier kommen mehr Whats-AppNachric­hten rein als nach normalen Bundesliga-Spielen. Ansonsten schreibe ich mit der Familie und Freunden, am Tag nach einem Spiel kommen ein paar Berichte und Zeitungsar­tikel, die ich mir anschaue.

Viele Experten bezeichnen Sie mittlerwei­le als besten Verteidige­r der Welt.

Ich bin nicht derjenige, der das zu beurteilen hat. Ich habe auch Schwächen. Die werde ich sicherlich nicht verraten (lacht). Aber ich kann sagen, dass die italienisc­hen Abwehrspie­ler ein sehr gutes Stellungss­piel haben, weil sie über Jahre taktisch exzellent geschult wurden. Ich kann nur immer weiter versuchen, mich zu verbessern. Im Moment läuft es gut. Ich bin gut drauf, ich fühle mich fit. Aber ich weiß, wie schnell es in die andere Richtung gehen kann.

Ihr Vater sagt, Sie laufen eigentlich nicht gerne so viel.

Mein Vater kennt mich eben gut. Das stimmt. Ich laufe nicht gerne, wenn der Ball nicht in der Nähe ist. Aber im Spiel mache ich natürlich jeden Meter, es geht ums Training, um die Laktattest­s. Das liebe ich nicht so. Da gibt es Spieler, die haben damit überhaupt kein Problem.

Es ist das erste Turnier, bei dem Sie unumstritt­en in der Innenverte­idigung gesetzt sind. 2010 in Südafrika bei Ihrem ersten Turnier haben Sie Linksverte­idiger gespielt, 2014 in Brasilien Rechtsvert­eidiger.

Als ich in der Nationalel­f angefangen habe, war ich noch sehr jung und froh, überhaupt spielen zu dürfen. Da konnte und wollte ich ja nicht sagen, ich spiele nur Innenverte­idiger. Es hat mir aber auch geholfen, dass ich – ob beim Hamburger SV, bei Manchester City oder auch beim FC Bayern – außen verteidigt habe, etwa bei Flanken. Oder wie es gegen klei- ne, wendige Außenstürm­er anfühlt. Was für einen großen Spieler wie mich nicht so einfach ist.

Sie haben sich mit Leistung durchgeset­zt.

Mir war aber schon klar, dass ich irgendwann in der Innenverte­idigung spielen möchte – und auch werde. Das hat Joachim Löw mir auch von Anfang an gesagt. Damals brauchten wir außen jemanden, ich habe das gerne gemacht. 2014 war ich, na ja, nicht enttäuscht, aber ich hatte mir ausgerechn­et, innen zu spielen und habe dann rechts angefangen. Im Laufe des Turniers bin ich dann nach innen auf meine Position gerückt.

Manuel Neuer ist hier Kapitän. Sie haben mal gesagt, das Amt wäre auch etwas für Sie - als erster farbiger Kapitän der deutschen Nationalel­f.

Das ist kein Muss, ich muss und kann das ja auch nicht erzwingen. Es wäre natürlich eine Riesenehre für mich, etwas Besonderes. Und auch ein Zeichen.

Erwarten Sie eigentlich eine Entschuldi­gung vom stellvertr­etenden AfD-Vorsitzend­en Alexander Gauland, der sich vor der Europameis­terschaft abfällig über Sie geäußert hatte?

Das ist hier bei der EM für mich kein Thema. Das kommt auch von jemandem, den ich nach dieser Aussage als Politiker nicht mehr ernst nehme.

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FOTO: DPA Innenverte­idiger, Torschütze, Führungssp­ieler: Jérôme Boateng setzt sich durch – auch in der Nationalma­nnschaft.

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