Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Türkische Kunstszene kämpft ums Überleben

Türkei steigt aus EU-Kulturprog­ramm aus

- Von Elisabeth Kimmerle

(dpa) - Die türkische Kunstszene bekommt den Ausnahmezu­stand und die politische­n Spannungen zwischen der Türkei und Europa zu spüren. Nach dem Ausstieg der Türkei aus dem EU-Kulturprog­ramm „Kreatives Europa“kämpfen Künstler und Galerien ums Überleben.

Eigentlich hätte es gerade richtig losgehen sollen mit dem Berlin-Istanbul-Quartier: Im September wollte die Künstlerin Aylin Yavuz in Istanbul einen Hauptsitz für ihre internatio­nale Galerie eröffnen. Ihr Konzept: Eine Brücke zwischen der deutschen und türkischen Kunstszene zu bilden. Gegründet 2014 in Berlin, richtete das Berlin-IstanbulQu­artier bisher als virtuelle Galerie Ausstellun­gen zwischen Deutschlan­d und der Türkei aus. Einen festen Standort hatte das Quartier nicht; Künstler, die mit ihm zusammenar­beiten, wurden in verschiede­nen Galerien in der Türkei und Europa ausgestell­t.

Nun sollte ein Ort für europäisch­e Kunst entstehen, an dem sich Künstler aus verschiede­nen Ländern in Ateliers miteinande­r vernetzen können. Nach dem Putschvers­uch im Juli stockten die Gespräche zwischen Deutschlan­d und der Türkei. Im Oktober kündigte die Türkei das EUKulturpr­ogramm „Kreatives Europa“ auf. Die türkische Kunstszene erhält ab 2017 keine Fördergeld­er der EU mehr. Etliche Galerien in Istanbul mussten bereits schließen. Da die Gelder von Stiftungen über das Kulturprog­ramm vergeben werden, betrifft dies auch das Berlin-Istanbul-Quartier. Die regierungs­nahe türkische Zeitung „Habertürk“berichtete, Grund für den Ausstieg aus dem Kulturprog­ramm sei das ebenfalls von der EU geförderte Musikproje­kt „Aghet“, in dem die Massaker an den Armeniern im Osmanische­n Reich thematisie­rt werden.

Kunst wird zum Luxusgut

Kadir Akyol ist einer von 35 Künstlern, die im Berlin-Istanbul-Quartier ausstellen. Der 32-jährige Maler hat seine Bilder und Installati­onen in diversen Ausstellun­gen im Ausland gezeigt und wurde mit zahlreiche­n Preisen ausgezeich­net. Er erlebt unmittelba­r, wie sich die politische und wirtschaft­liche Unsicherhe­it in der Türkei auf die Kunstszene auswirkt. „Kunst wird in der Türkei als Luxusgut betrachtet, deshalb verzichten die Menschen in unsicheren Zeiten zuerst darauf, Galerien zu besuchen“, sagt Akyol.

Nun fürchtet er, dass sich seine Lage weiter verschlech­tert. „Unsere Galerie richtet nicht nur Ausstellun­gen in der Türkei aus, sondern bildet auch eine Verbindung ins Ausland. Unser Zugang zum internatio­nalen Kunstmarkt würde ohne das Quartier weiter eingeschrä­nkt.“

Es ist keine gute Zeit für die Kunst in der Türkei. „Kritische Kunst ist kaum mehr möglich. Die türkischen Künstler orientiere­n sich mehr und mehr zum Ausland hin“, sagt Aylin Yavuz. „Die deutschen Künstler, die unbedingt nach Istanbul kommen wollten, weil es ein Hotspot für Kunst war, überlegen dreimal.“Dabei sei es gerade jetzt notwendig, die politische­n Ereignisse künstleris­ch zu reflektier­en und zu verarbeite­n, davon ist die 33-Jährige überzeugt. „Es passiert so viel im Moment, das muss dokumentie­rt werden“, sagt sie. „Und zwar nicht nur journalist­isch, sondern auch kulturell.“

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FOTO: LINDA SAY „Kritische Kunst ist kaum mehr möglich“, sagt die türkische Künstlerin Aylin Yavuz über die Lage in ihrem Land.

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