Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Türkische Kunstszene kämpft ums Überleben
Türkei steigt aus EU-Kulturprogramm aus
(dpa) - Die türkische Kunstszene bekommt den Ausnahmezustand und die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Europa zu spüren. Nach dem Ausstieg der Türkei aus dem EU-Kulturprogramm „Kreatives Europa“kämpfen Künstler und Galerien ums Überleben.
Eigentlich hätte es gerade richtig losgehen sollen mit dem Berlin-Istanbul-Quartier: Im September wollte die Künstlerin Aylin Yavuz in Istanbul einen Hauptsitz für ihre internationale Galerie eröffnen. Ihr Konzept: Eine Brücke zwischen der deutschen und türkischen Kunstszene zu bilden. Gegründet 2014 in Berlin, richtete das Berlin-IstanbulQuartier bisher als virtuelle Galerie Ausstellungen zwischen Deutschland und der Türkei aus. Einen festen Standort hatte das Quartier nicht; Künstler, die mit ihm zusammenarbeiten, wurden in verschiedenen Galerien in der Türkei und Europa ausgestellt.
Nun sollte ein Ort für europäische Kunst entstehen, an dem sich Künstler aus verschiedenen Ländern in Ateliers miteinander vernetzen können. Nach dem Putschversuch im Juli stockten die Gespräche zwischen Deutschland und der Türkei. Im Oktober kündigte die Türkei das EUKulturprogramm „Kreatives Europa“ auf. Die türkische Kunstszene erhält ab 2017 keine Fördergelder der EU mehr. Etliche Galerien in Istanbul mussten bereits schließen. Da die Gelder von Stiftungen über das Kulturprogramm vergeben werden, betrifft dies auch das Berlin-Istanbul-Quartier. Die regierungsnahe türkische Zeitung „Habertürk“berichtete, Grund für den Ausstieg aus dem Kulturprogramm sei das ebenfalls von der EU geförderte Musikprojekt „Aghet“, in dem die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich thematisiert werden.
Kunst wird zum Luxusgut
Kadir Akyol ist einer von 35 Künstlern, die im Berlin-Istanbul-Quartier ausstellen. Der 32-jährige Maler hat seine Bilder und Installationen in diversen Ausstellungen im Ausland gezeigt und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Er erlebt unmittelbar, wie sich die politische und wirtschaftliche Unsicherheit in der Türkei auf die Kunstszene auswirkt. „Kunst wird in der Türkei als Luxusgut betrachtet, deshalb verzichten die Menschen in unsicheren Zeiten zuerst darauf, Galerien zu besuchen“, sagt Akyol.
Nun fürchtet er, dass sich seine Lage weiter verschlechtert. „Unsere Galerie richtet nicht nur Ausstellungen in der Türkei aus, sondern bildet auch eine Verbindung ins Ausland. Unser Zugang zum internationalen Kunstmarkt würde ohne das Quartier weiter eingeschränkt.“
Es ist keine gute Zeit für die Kunst in der Türkei. „Kritische Kunst ist kaum mehr möglich. Die türkischen Künstler orientieren sich mehr und mehr zum Ausland hin“, sagt Aylin Yavuz. „Die deutschen Künstler, die unbedingt nach Istanbul kommen wollten, weil es ein Hotspot für Kunst war, überlegen dreimal.“Dabei sei es gerade jetzt notwendig, die politischen Ereignisse künstlerisch zu reflektieren und zu verarbeiten, davon ist die 33-Jährige überzeugt. „Es passiert so viel im Moment, das muss dokumentiert werden“, sagt sie. „Und zwar nicht nur journalistisch, sondern auch kulturell.“