Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Theater zeigt „Danke, Sie dürfen gehen“
Lindauer Gruppe Partout entführt in eine groteske Welt voller menschlicher Abgründe
- Bewundernswert ist diese Sarah Rosenbaum. In der Regieassistentin scheint es zu brodeln wie in einem Vulkan, aber sie verliert nicht die Beherrschung. Sichtlich genervt ist sie dennoch, wenn eigenwillige Schauspieler sie beim Casting fast in den Wahnsinn treiben. Da tun sich menschliche Abgründe auf, für die Sarah Rosenbaum nur eine Antwort kennt: „Danke, Sie dürfen gehen.“So heißt auch das Bühnenstück, das die Lindauer Theatergruppe „Partout“unter der Regie der Theaterpädagogin Anja Lorenzen jetzt im Stadttheater aufgeführt hat. Sie hat das Stück gemeinsam mit den Schauspielern selbst entwickelt und geschrieben.
Es ist ein Theaterstück über ein Casting für ein Bürgertheater, das irgendein Drama mit gesellschaftlicher Relevanz auf die Bühne bringen soll. Genaues weiß niemand, nicht einmal die Regieassistentin Sarah Rosenbaum (dargestellt von Manuela Köhler). Der Regisseur hat sie im Stich gelassen und sie nicht einmal über die Eckdaten informiert. Jetzt soll sie machen, ratlos und planlos. Skurrile Monologe lässt sie beim Casting über sich ergehen und bekommt im Gegenzug – und mit ihr das Publikum – tiefe Einblicke in die menschliche Seele. Auch in die Gedankenwelt von Konstanze von der Grün (dargestellt von Juanita Kränzle). Sie ist eine echte Nervensäge und Quasseltante, die über die richtige Atemtechnik faselt und dabei ohne Atempausen über Pfefferminztee, Franz Kafka und die Emanzipation der Frau plappert.
Fakt ist: „Schweigen tut gut“, weiß die Schnatterliese und erklärt sich zum Entsetzen der Regieassistentin und zum Vergnügen des Publikums bereit, darüber einen Kurzvortrag zu halten.
Die Barfrau Jenny (dargestellt von Krisztina Onodi), die eigentlich recht widerstandsfähig wirkt, hält dieses end- und sinnlose Gerede nicht aus. Sie sucht Zuflucht im Alkohol, der sie beim Casting wirres Zeug faseln lässt und Einblick in ihre mördischen Fantasien gibt. Das krasse Gegenteil von ihr ist Marlene Weiß (dargestellt von Anja Kronenberg), die eigentlich ihren geliebten Paul im Krankenhaus besuchen will und sich ins Theater verirrt hat. Für Paul hat sie sogar ein Gedicht geschrieben, ein ganz einfaches. Denn Marlene ist nicht die Hellste, aber irgendwie ganz lieb. Allerdings merkt sie gar nicht, wie sehr sie beim Warten in der Cafeteria Vanessa Summer (dargestellt von Birgitt Herrmann) auf die Nerven geht. So sehr, dass diese komplett die Fassung verliert.
Mit den Nerven ist es auch bei Mechthild Braun (dargestellt von Ursula Kempter) nicht zum Besten gestellt. Die Gute ist geplagt von Angststörungen, depressiven Verstimmungen und einer Neigung zur Hysterie. Das würde sie natürlich nicht zugeben, aber in ihrer CastingRolle lebt sie ihr Bedürfnis nach Erniedrigung und Schmerz unkontrolliert aus. Ernst August von der Mülbe (dargestellt von Winfried Schlegel) könnte daran durchaus Gefallen finden, denn er ist ein gewandter Charmeur. An der Damenwelt nicht interessiert ist hingegen der burschikose Alexey Morgúlis (dargestellt von Katya Dronva): Im Satz des Pythagoras (a2 + b2 = c2) steckt für Alexey die ganze Wahrheit über Gott, den Teufel und den Menschen. „Wir sind die Hypothenuse“, doziert er über die menschliche Existenz.
Das gesamte Stück ist so geschrieben und gespielt, dass alle Akteure ihre jeweilige Rolle voll entfalten können. Es hält den Spannungsbogen, ist abwechslungsreich, witzig, grotesk und entlarvend. Die Laienschauspieler lassen allzu menschliche Charakterzüge lebendig werden. Ob Wut, Entsetzen, Verzweiflung, Angst, Sturheit, Ignoranz oder Selbstüberschätzung: Anja Lorenzen und die Schauspieler des Theaters Partout haben es geschafft, all diese Gefühlswelten kurzweilig und überzeugend auf die Bühne zu bringen. Für sie alle gilt der Lieblingssatz von Sarah Rosenbaum in veränderter Form: Danke, Sie dürfen gerne bleiben und weiterspielen!