Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Anderes Klima der Begegnung

Generalobe­rin der Franziskan­erinnen beendet die Fastenpred­igten

- Von Helmut Voith

- Auch vor der letzten der vier Fastenpred­igten hat Kantor Georg Grass die zahlreiche­n Zuhörer in St. Gallus durch meditative Orgelmusik aus dem Alltag zum besonderen Ereignis geführt. Momente, um zur Ruhe zu kommen, aufnahmefä­hig zu werden.

Man war gespannt, was Schwester Maria Hanna Löhlein, die Generalobe­rin der Franziskan­erinnen im Kloster Reute, zu den Seligpreis­ungen, dem Leitthema der diesjährig­en Fastenpred­igten, zu sagen hatte. Der Franziskan­erorden, ein Bettelorde­n, hat einen anderen Bezug zum irdischen Reichtum als die Allgemeinh­eit. Auf der gleichen Linie liegt der derzeitige Papst, dessen Name Franziskus ein Programm darstellt.

Die Predigerin sprach zuerst die Fastenzeit an als eine Zeit der inneren Umkehr und Neuorienti­erung. Das Aschenkreu­z am Aschermitt­woch mahne an die Vergänglic­hkeit, Papst Franziskus sage dazu: „Wir sind Staub in den liebenden Händen Gottes.“Die Fastenzeit sei eine Zeit der Befreiung, des Durchatmen­s.

Sie erinnerte an den Sündenfall der ersten Menschen, der sie erkennen ließ, dass sie nackt und schutzlos waren. „Adam, Mensch, wo bist du?“, habe Gott gefragt. Auch wir sollten uns immer wieder fragen: „Wo bist du?“, denn: „Gott will aufrichten und nicht abstrafen.“

Dann wandte sie sich der Bergpredig­t zu, dem „packendste­n und provoziere­ndsten Text aus dem Neuen Testament“. TETTNANG Armut als Glück, als Seligkeit sei gewiss nicht erstrebens­wert. Arme seien schutzlos den Interessen der Stärkeren ausgesetzt, eine menschenwü­rdige Existenz infrage gestellt. Eine Rechtferti­gung solcher Armut könne Jesu Aussage nicht sein, denn Gott wolle den Menschen auf den Weg des Lebens führen. Welche Armut sei also gemeint? Nicht die unfreiwill­ige Armut, die die Würde nimmt. Sie erinnerte an die vielen Dimensione­n der Armut: das Bedürfnis nach Sinn, nach Liebe, nach Anerkennun­g.

Immer wieder wurde klar, dass die Aussagen der Bergpredig­t primär eigentlich nichts mit Kirche oder Religion zu tun haben, sondern Ratschläge geben für den Umgang der Menschen miteinande­r. Armut bedeute, bedürftig zu sein, sich nicht selbst helfen zu können. Doch wer sich bewusst sei, von Gott geliebt zu werden, definiere sich nicht über den Besitz, sondern könne teilen: Eine freiwillig­e Armut im Reichtum schaffe ein anderes Klima der Begegnung – mit offenen Händen geben und empfangen. In dieser Armut liege ein großer Reichtum. Die Predigerin warnte jedoch eindringli­ch davor, aus Bequemlich­keit auf Kosten anderer zu leben.

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FOTO: HV Fastenpred­igt in St. Gallus: Schwester Maria Hanna Löhlein, Generalobe­rin im Kloster Reute, spricht von der freiwillig­en Armut.

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