Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Einen Alleinverantwortlichen im Fall Anis Amri gibt es nicht
Kontrollgremium des Bundestags fordert aber, neue Wege bei der Bewertung von Gefährdern zu gehen
(dpa) - Der Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri war verschiedenen Sicherheitsbehörden lange bekannt. Der Tunesier war als islamistischer Gefährder eingestuft und ausreisepflichtig. Doch seine Abschiebung scheiterte. Viele fragen sich, ob Behörden versagt haben. Die Geheimdienstkontrolleure des Bundestags haben rund zwei Monate lang mögliche Fehler oder Versäumnisse untersucht. Neues befördern sie nicht zutage. Sie sehen aber strukturellen Nachbesserungsbedarf. Einige Fragen und Antworten:
Was ist die Task Force?
Eine interne Ermittlergruppe des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr). Mit den Untersuchungen beauftragte das Gremium im Januar seinen Ständigen Bevollmächtigten Arne Schlatmann. Die Funktion eines Ständigen Beauftragten, der den Abgeordneten mit einer eigenen Mannschaft zuarbeiten soll, gibt es erst seit einer Geheimdienstreform im vergangenen Herbst. Die Grünen kritisieren, dass die Aufklärung des Falls Amri über das geheim tagende PKGr und seine Task Force laufe. Parlamentsausschüsse blieben außen vor und würden in ihrer Arbeit behindert, sagte die Grünen-Politikerin Renate Künast. Auch im Land Berlin soll ein Sonderbeauftragter das Handeln der Sicherheitsbehörden und mögliche Fehler vor dem Terroranschlag untersuchen. In Nordrhein-Westfalen hingegen bemüht sich ein Ausschuss des Landtags um Aufklärung.
Was hat die Task Force festgestellt?
Die von Amri ausgehende Gefahr wurde von den zuständigen Sicherheitsbehörden falsch eingeschätzt. So lautet die rückblickende Bewertung in der Kurzfassung. Das PKGr kritisierte zugleich, dass Amris Handlungsspielräume nach dem Ende seiner Überwachung nicht konsequenter eingeschränkt wurden.
Gibt es einen Hauptverantwortlichen für die Fehler?
Aus Sicht des Gremiums nicht. Der Vorsitzende Clemens Binninger wies darauf hin, dass rund 50 staatliche Stellen mit Amri zu tun gehabt hätten.
Welche Schlussfolgerungen zieht das PKGr?
Das Gremium will vor allem am Umgang mit Gefährdern ansetzen. Es pocht etwa auf bundesweit einheitliche Instrumente und eine „koordinierende Steuerung von Informationen und Maßnahmen“. Damit liegt das PKGr in etwa auf der Linie von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Dieser hatte zuletzt eine stärkere Zentralisierung in der Sicherheitsarchitektur zur Diskussion gestellt.
Welche Konsequenzen zieht Baden-Württemberg aus dem Fall Amri?
Laut Martin Jäger, Staatssekretär im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg, sei hier schon viel geschehen. Das Land habe drei Anti-Terror-Pakete auf den Weg gebracht, um die Sicherheitskräfte besser aufzustellen. Die Spezialeinheiten, die etwa Gefährder observieren, sollen mit noch besserer Technik ausgestattet werden. Was die frühe Erkennung von geplanten Straftaten angeht, sollen der Polizei neue Möglichkeiten eröffnet werden, um zum Beispiel die Telekommunikation von Gefährdern zu überwachen. Bisher dürfen sie das nur im strafprozessualen Bereich, also wenn bereits ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft läuft. Entsprechende Änderungen des Polizeigesetzes sollen noch vor dem Sommer in der Ministerrunde verabschiedet werden.