Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Wir müssen kräftig in Bildung investieren“
Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Kurs der Regierung, zu den Plänen für Europa und zum Dieselfahrverbot
BERLIN - Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wendet sich strikt gegen die SPD-Forderung nach einer Aufhebung des Kooperationsverbots. Es wäre für ihn „ein Alptraum, wenn wir die Schulpolitik in Deutschland vereinheitlichen würden“, sagte Schäuble im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Sabine Lennartz. Zudem forderte der baden-württembergische CDU-Spitzenkandidat eine Stärkung der Eurozone und zeigte sich zuversichtlich, dass sein Vorschlag eines Europäischen Währungsfonds in den nächsten Jahren umgesetzt werden könne.
Herr Schäuble, Ihre politischen Gegner werfen der Union Stagnation und ein stupides „Weiter so“vor. Ist der Kurs richtig?
Es geht der großen Mehrheit der Bevölkerung ziemlich gut. Wir werden international von vielen für das beneidet, was wir erreicht haben: die beste Beschäftigung und die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung, solides Wirtschaftswachstum im achten Jahr und solide Finanzen auch in den sozialen Sicherungssystemen. Wir haben so viel investiert, dass wir von der Bauwirtschaft schon gebeten werden „nicht noch mehr“. Wer lieber abwärts möchte, bitte schön. Wenn Rot-RotGrün die Wahl gewinnt, hat sich die Frage der Überschüsse bald erledigt.
Ist es eine Kunst, in Boomjahren eine schwarze Null zu erzielen?
Wir haben glückliche Umstände gehabt, das ist wahr. Aber schon Napoleon hat gesagt, ihm seien Marschälle, die Fortune haben, lieber als solche ohne Fortune. Und es ist auch das Glück der Tüchtigen. Finanzminister haben es nicht einfach in den eigenen Reihen, sich gegen Begehrlichkeiten zu wehren. Das ist zum Beispiel Hans Eichel oder Peer Steinbrück nicht gelungen, die ja auch in ihren ersten Jahren als Finanzminister erfolgreich waren.
Warum hat es trotz guter Konjunktur bisher keine Steuersenkungen gegeben?
Wir mussten zuerst den Haushalt sanieren. Dann habe ich früh dafür plädiert, dass wir in der nächsten Legislaturperiode Steuersenkungen machen. Aber wir wissen auch, dass zusätzliche Ausgaben für innere und äußere Sicherheit auf uns zukommen, für Investitionen, Bildung und Forschung. Wir müssen größere Anstrengungen machen, Afrika zu stabilisieren. Daher gibt es einen begrenzten Spielraum.
Mit welcher Partei wollen Sie weiterregieren?
Wir kämpfen im Wahlkampf für uns. Dann entscheiden die Wähler.
Die Menschen wollen keine Große Koalition mehr, obwohl es ihnen gut geht. Können Sie das erklären?
Uns blieb ja 2013 nichts anderes übrig. Die Grünen hatten sich verweigert, da haben sich Leute wie Jürgen Trittin durchgesetzt. Es ist Sigmar Gagestockt, briels historisches Verdienst, dass die SPD demokratische Verantwortung übernommen hat. Wenn aber die CDU/CSU künftig aus eigener Kraft regieren kann, umso besser. Das würde abwechslungsreich genug.
Stört es Sie, dass die FDP bereits Interesse an Ihrem Posten angemeldet hat?
Das ist politischer Wettbewerb und legitim. Früher wollten alle immer Außenminister werden, inzwischen haben sie offenbar gelernt, dass Finanzminister auch wichtig ist.
Wenn Sie auf einer Skala von 0 bis 10 den Reformbedarf in Deutschland einschätzen sollten. Wo steht Deutschland jetzt?
Wir stehen nicht schlecht da, wir wissen aber auch: Wer rastet, rostet. Die Welt ändert sich in atemberaubendem Tempo. Ausruhen dürfen wir uns nicht. Wichtig ist es, die Forschungsquote weiter auszubauen. Die Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen, wie wir überhaupt Antworten auf die Digitalisierung finden müssen. Und wir müssen kräftig in Bildung investieren.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat gerade zu einer nationalen Bildungsallianz und der Aufhebung des Kooperationsverbots aufgerufen. Ist das nötig?
Bildungspolitik ist in erster Linie Sache der Länder. Die müssen sich allerdings untereinander vergleichen lassen. Erwiesenermaßen ist die Bildungspolitik in den Ländern mit SPD-Regierungen schlecht. Deshalb ist Baden-Württemberg in den fünf Jahren bis 2016 deutlich zurückgefallen und holt jetzt langsam wieder auf.
Aber es gibt doch auch in Ihren Reihen Forderungen, das Kooperationsverbot zu lockern.
Verzeihen Sie, das haben wir doch gemacht. Ich habe ziemlich viel Ärger in meiner Fraktion gehabt, weil ich schon Anfang 2014 ein Programm aufgelegt habe, finanzschwächeren Kommunen bei Investitionen zu helfen. Jetzt haben wir noch einmal auf- von dem Geld können insbesondere Schulen saniert werden. Wir haben auch für die Digitalisierung mehr Mittel bereitgestellt, und wir tun etwas für mehr Betreuungsmöglichkeiten im Grundschulbereich. Aber es wäre ein Alptraum, wenn wir die Schulpolitik in Deutschland vereinheitlichen würden. Dann hätten wir am Ende vermutlich eher das Niveau von Bremen als das von Bayern oder BadenWürttemberg. Wolfgang Schäuble auf die Frage, wie die schwarze Null zustande kam.
Sie werden in der nächsten Bundesregierung bestimmt wieder ein entscheidendes Amt haben, auch mit Blick auf Europa. Was ist da am dringendsten nötig?
Wir sind in der Eurokrise erfolgreicher gewesen, als es viele vorhergesagt haben. In allen Ländern der Eurozone wächst die Wirtschaft stabil, auch in Griechenland. Wir liegen über dem Wachstum in den USA. Aber wir müssen den Kurs fortsetzen. Was vereinbart ist, muss umgesetzt werden, auch in Griechenland. Solange Wirtschafts- und Finanzpolitik Sache der Mitgliedsländer bleibt, können Schulden nicht vergemeinschaftet werden. Denn dann schwächen wir Europa. Deshalb sind wir uns mit Frankreichs Präsident Macron einig: Die Eurozone muss gestärkt werden. Frau Merkel hat gerade gesagt, dass mein Vorschlag sinnvoll ist, den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem Europäischen Währungsfonds weiterzuentwickeln, der auch präventiv für die Stabilisierung wirken kann.
Schaffen Sie es, Ihre Idee des Europäischen Währungsfonds in den nächsten vier Jahren durchzusetzen?
Ich bin zuversichtlich, dass wir hier etwas erreichen können. Wir werden mit Frankreich intensiv darüber reden, Europa effizienter zu machen.
Viele Deutsche haben trotzdem immer noch Angst, für andere Europäer zahlen zu müssen. Wie oft hören Sie das?
Im Wahlkampf jetzt fast jeden Abend. Ich erkläre dann immer, dass wir den Schwächeren helfen müssen, diese aber auch ihre Schwäche selbst angehen müssen. Es gibt mit uns keine Vergemeinschaftung der Haftung, weil das Fehlanreize schaffen würde.
Hat Trump Europa eigentlich mehr zusammengeschweißt?
Auf jeden Fall hat die Wahlentscheidung in den USA und der Brexit manchen in Europa nachdenklich gemacht. Unser schwäbischer Landsmann Hölderlin hat ja schon gesagt, in der Gefahr liegt das Rettende immer auch nahe. Wir dürfen nicht überheblich oder selbstgefällig nachlässig werden. Aber wir haben auch keinen Grund zur Resignation. Wie Barack Obama vor Kurzem in Baden-Baden gesagt hat: Es gibt kein besseres Jahr als 2017, um geboren zu werden. Wir müssen das selbstbewusst, aber auch demütig annehmen.
So, wie Sie von Demut und Bescheidenheit sprechen, muss Donald Trump doch ein Grauen für Sie sein. Die USA sind ein wichtiger Handelspartner. Wie wollen Sie die Beziehungen trotz allem auf eine solide, verlässliche Grundlage stellen?
So, wie Frau Merkel das macht: nicht zu glauben, wir müssten in den Wettlauf eintreten, unkluge Dinge zu sagen. Die USA sind seit Jahrzehnten unser wichtigster Partner. Das gilt auch für die Jahrzehnte vor uns.
Was wird aus den Briten? Wie viel Kraft müssen wir aufwenden, um die Folgen des Brexits zu mindern?
Beim Brexit sehen Sie, was herauskommt, wenn die Leute den Demagogen folgen. Manche Verfechter des Austritts haben gelogen, dass sich die Balken biegen. Das sollten wir als Mahnung nehmen.
Nehmen Sie bei Dieselautos noch mal Geld in die Hand?
Nein, es handelt sich um einen unbestrittenen Fehler der deutschen Automobilindustrie, der zu einem enormen Vertrauensverlust geführt hat. Aber wir dürfen die Dieseltechnologie jetzt nicht kaputtreden. Deutschland hat ein massives Interesse, die Leistungsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie zu sichern.
„Wir haben glückliche Umstände gehabt, das ist wahr. Aber schon Napoleon hat gesagt, ihm seien Marschälle, die Fortune haben, lieber als solche ohne Fortune.“
„Beim Brexit sehen Sie, was herauskommt, wenn die Leute den Demagogen folgen.“Wolfgang Schäuble zu dem von Großbritannien beschlossenen EU-Austritt.
Das Vertrauen in die Dieseltechnologie könnte durch Dieselfahrverbote weiter erschüttert werden. Was tun Sie dagegen?
Wir helfen den Städten. Deshalb hat die Bundeskanzlerin die Vertreter der Städte für kommenden Montag eingeladen. Es muss gelingen, Fahrverbote möglichst zu vermeiden. Man kann den öffentlichen Nahverkehr schneller auf emissionsarmen Betrieb umstellen und den Verkehr besser fließen lassen durch moderne Verkehrsleitführung. Das alles kann den Schadstoffausstoß senken. Wir haben zugesagt, uns als Bund zusammen mit der Industrie daran zu beteiligen, das zügig zu erreichen. Der Bund hat ein massives Programm aufgelegt. Was mich irritiert: Die Länder sind sehr dafür, aber bisher wird das Programm nur vom Bund und von den Kommunen finanziert. Ich finde, die Länder können auch einen Beitrag leisten, schließlich sind sie ja verantwortlich für die Kommunen. Das kann am Montag ja noch kommen.
Kann denn am Montag der Oberbürgermeister von Stuttgart aus dem Kanzleramt rausgehen und sagen: Wir haben jetzt Fahrverbote verhindert?
Nein, der Bund verhängt solche Verbote ja nicht. Aber wir können helfen, flächendeckende Fahrverbote zu vermeiden.
Könnte man auch die Grenzwerte für NOx verändern?
Mit allen, die praktische Vernunft oder gesunden Menschenverstand walten lassen, ziehen wir an einem Strang. Dazu zählt auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg.