Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Bei Bayern rumort es
Führungsetage reagiert äußerst unterschiedlich auf Lewandowskis Klartext-Interview
MÜNCHEN (fil/SID/dpa) - Beim FC Bayern München drehen Verantwortliche und Beobachter ja gerne am ganz großen Rad. Kein Aspekt kann so unwichtig sein, dass sich darüber nicht mindestens lebhaft, oft genug auch grundsätzlich, diskutieren ließe. So früh in der Saison haben sie beim Rekordmeister aber schon lange nicht mehr in den Krisenmodus geschaltet – dabei hat der traditionell heiße Herbst mit Spielen im Dreitagesrhythmus noch gar nicht richtig begonnen. Vor dem Champions-League-Auftakt am Dienstag (20.45 Uhr/Sky) gegen den RSC Anderlecht hat sich an der Isar eine bedrohliche Gemengelage zusammengebraut. Zu Beginn des zweiten Jahres von Trainer Carlo Ancelotti dringt jedenfalls vermehrt ein latenter Zustand der Unzufriedenheit aus dem Inneren nach außen.
Das 0:2 in Hoffenheim, das die seit Wochen zwar schon sichtbaren, aber bis dahin folgenlos gebliebenen Defizite im Spiel der Bayern gnadenlos aufdeckte und die unverhohlene Kritik via „Spiegel“-Interview von Stürmerstar Robert Lewandowski an der Transferpolitik des Rekordmeisters haben die stolzen Alphatiere in der Chefetage aufgerüttelt. Sowohl Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, als auch Präsident Uli Hoeneß reagierten am Montag deutlich auf Lewandowskis an der Kommunikationsabteilung des Vereins vorbei gegebenes Klartextinterview („Bayern muss sich was einfallen lassen, wenn der Verein weiter Weltklassespieler nach München lotsen will“) – jedoch auf so unterschiedliche Weise, dass ihre Reaktionen abermals Fragen nach dem Binnenverhältnis der Verantwortlichen in der Chefetage des Rekordmeisters aufwerfen.
„Wer öffentlich den Trainer, den Verein oder die Mitspieler kritisiert, kriegt ab sofort Stress mit mir“, sagte Vorstandsboss Rummenigge der „Bild“und schloss in seine scharfe Kritik auch Thomas Müller ein. Der hatte sich vor Wochen über seine Bankrolle mokiert und sich über mangelnde Wertschätzung von Trainer Carlo Ancelotti beklagt. Er sei zwar ein Freund der Meinungsfreiheit, sagte Rummenigge, „aber bei uns wird derzeit zu schlau dahergeredet.“Müllers Aussage sei „nicht okay“gewesen. Lewandowski, hinter dessen Kritik Rummenigge dessen Berater vermutet, bekam noch eine Breitseite ab. „Er ist bei uns als Fußballer angestellt – und verdient dafür sehr viel Geld. Ich bedauere seine Aussagen. Schon in der Rückrunde hatte er nach dem Freiburg-Spiel unzutreffende Vorwürfe gegen die Mitspieler erhoben, dass er nicht genügend unterstützt worden wäre.“Er wisse schon, drohte Rummenigge, „wie man Spieler zur Räson bringt.
Stürmende Ich-AG
Ein Satz, den man so eher von einem anderen Bayern-Boss erwartet hätte, vorgetragen mit hochrotem Kopf und sich beinahe überschlagender Stimme. Doch Uli Hoeneß, die einstige Abteilung Attacke des Rekordmeisters, scheint mittlerweile andere Prioritäten zu haben. „Jeder kann seinem Ärger Luft machen. Wir dürfen nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen – auch intern. Ich fand alles im Rahmen. Wir müssen wieder lockerer werden“, sagte Hoeneß am Rande eines Sponsorentermins.
Das Interview des Angreifers, stets professionell, aber eine Art stürmende Ich-AG, habe er „nicht so schlimm empfunden. Ich finde es immer gut, wenn ein Spieler sich Gedanken und Sorgen macht um seinen Verein. Das spricht für ihn. Aber noch wichtiger wäre, dass er sich darum kümmert, was eigentlich wichtiger sein müsste: nämlich seine Leistung. Und wenn die besser ist, dann werden wir unsere Ziele auch erreichen.“Aber: Die „sehr, sehr schwache“Vorstellung in Hoffenheim habe ihn „wahnsinnig geärgert“, sagte Hoeneß. „Da sehe ich noch keine Alarmglocken, aber dass wir besser Fußballspielen müssen, ist klar“.
Die Grundlagen dafür zu schaffen, ist Grundaufgabe des Trainers. Dass seine Mannschaft spielerisch schon letzte Saison eher seltener überzeugen konnte, wird auch Ancelotti wissen. Dennoch sieht der, am Samstag nach allen Regeln der Kunst ausgecoacht von seinem potentiellen Irgendwann-Nachfolger Julian Nagelsmann, seine Mannschaft im Favoritenkreis auf den ChampionsLeague-Titel.
Woher der Coach seinen Optimismus nimmt, ist nicht bekannt. Und so setzte er den Aufgeregtheiten einmal mehr seine legendäre Gelassenheit entgegen. „Ich muss nicht mit Lewandowski über sein Interview reden. Ich muss mit ihm über die Strategie für das Spiel gegen Anderlecht reden“, erklärte Ancelotti nur. Er weiß, welches Allheilmittel beim FC Bayern am besten wirkt: „Wichtig ist, guten Fußball zu zeigen nach der Niederlage.“
Voraussichtliche Aufstellungen: München: Neuer – Kimmich, Martínez, Hummels, Rafinha – Rudy, Tolisso – Robben, Müller, Ribéry.– Lewandowski. – Anderlecht: Sels – Najar, Deschacht, Spajic, Obradovic – Trebel, Dendoncker – Bruno, Hanni, Onyekuru – Teodorczyk.