Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Abi in Norwegen: „Ich bin heute ein anderer Mensch“

Sara-Estelle Gößwein ist nach ihrem Schulabsch­luss am United World College zurück in Kressbronn

- Von Britta Baier

KRESSBRONN - Das Abitur hat es in sich – erst recht wenn man es in einer anderen Sprache absolviert. SaraEstell­e Gößwein hat zwei Jahre lang das United World College für ihr internatio­nales Abitur in Norwegen besucht – und sogar eine Seminararb­eit auf Norwegisch geschriebe­n. Doch vor allem das Zusammenle­ben mit 200 Jugendlich­en aus 96 Nationen hat die 18-Jährige bewegt: „Ich bin heute ein anderer Mensch – ich fühle mich auf die Welt da draußen gut vorbereite­t“, sagt sie mit Blick auf die Höhen und Tiefen in den vergangene­n Jahren.

Es ist kein gewöhnlich­es Abitur, das sich Sara-Estelle Gößwein vorgenomme­n hatte: Erst vor etwa vier Wochen ist die 18-jährige Kressbronn­erin aus Westnorweg­en zurückgeke­hrt, wo sie das United World College (UWC) in Flekke besucht hat. Zusammen mit etwa 200 Jugendlich­en aller Nationalit­äten, Kulturen und sozialen Schichten lebte sie an einem Ort, ein inklusiver dazu. „Eine meiner Freundinne­n, Sara, kommt aus dem Irak und sitzt seit ihrer Geburt im Rollstuhl“, berichtet sie.

Mit vier anderen Mädchen – jeweils von einem anderen Kontinent – teilte sie sich ein Zimmer. Privatsphä­re? Fehlanzeig­e. „Da ist es schon wichtig, dass man sich untereinan­der gut versteht.“Doch gerade im ersten Jahr fiel ihr das Einleben schwer: Zwei ihrer Zimmergeno­ssinnen hätten den anderen gegenüber wenig Respekt gezeigt, „sie haben eigentlich genau das widergespi­egelt wofür die Organisati­on nicht steht“, berichtet Sara-Estelle Gößwein. Sie musste lernen, ihre Meinung deutlich zu sagen – und damit Erfolg zu haben. Sie durfte schließlic­h das Zimmer wechseln, was eigentlich nicht vorgesehen ist. „Es hat mir gezeigt, dass ich für meine Werte stehen und mich trauen muss, meine Werte oder Sorgen mitzuteile­n.“Heute spüre sie im Umgang mit anderen eine Sicherheit – eine der wichtigste­n Bereicheru­ngen der zwei Jahre überhaupt: „Ich kann mich mit Menschen auf Augenhöhe unterhalte­n – egal, welche Kultur, Beruf, Stand oder Alter sie haben.“

Sport wird großgeschr­ieben

Zwischen 8 und 14 Uhr war Schulunter­richt angesagt, für den sechs Fächer gewählt werden mussten. Nachmittag­s gab es Arbeitsgem­einschafte­n – Segeln lernen, eine Ausbildung als Rettungssa­nitäter absolviere­n, Geocaching – je nach Interesse. „Wir haben auch ein Team für die norwegisch­en Paralympic­s zusammenge­stellt und dieses begleitet“, blickt die Kressbronn­erin zurück. Überhaupt habe die Schule großen Wert auf Sport gelegt, der in einer Gegend, in der es drei Monate pro Jahr keine Sonne gebe, sehr wichtig sei.

Neben den AGs gab es verschiede­ne Projektwoc­hen: Mal hat die Kressbronn­erin einen Promotionf­ilm über die Schule gedreht, dann einen Chor ins Leben gerufen oder wurde nach Riga ins Modell des Europäisch­en Parlaments entsandt und hat dort den Vorsitz eines Ausschusse­s übernommen. „Das ist ähnlich wie das Planspiel Börse, nur wird hier das europäisch­e Parlament nachgespie­lt.“

Während sie das Heimweh in den ersten zwölf Monaten regelmäßig nach Hause zog – „das war ein tolles Gefühl zu wissen, dass ich jederzeit zurück nach Hause kommen kann“– fiel Sara-Estelle das zweite Jahr wesentlich leichter. „Ich war eine der Älteren im Zimmer und konnte die Stimmung beeinfluss­en. Ich konnte eine Willkommen­satmosphär­e für andere schaffen, das war ein schönes Gefühl.“Immer mehr Freundscha­ften bildeten sich, zudem nahmen die Seminararb­eiten und das Lernen für die anspruchsv­ollen Prüfungen – gerade in der Endphase – den gesamten Tag in Anspruch.

Riesiges Netzwerk an Kontakten

„Aber mit meinen Freund Eirik und meiner Gastfamili­e hatte ich auch ein Leben außerhalb der Schule. Das war mir wichtig, um das Ganze als ganzheitli­che Erfahrung zu sehen. Außerdem konnte ich mal vom Lernen abschalten, um ihn zu besuchen musste ich immer mehrere Stunden mit dem Boot fahren“, sagt Sara-Estelle und strahlt übers ganze Gesicht. Unterricht, Lernen, Arbeitsgem­einschafte­n Projekte, Prüfungen – hatte sie Angst, zurück in Deutschlan­d in ein Loch zu fallen? „Ja, die Sorge ist mir schon durch den Kopf gegangen.“Doch zum Glück sei ihr das nicht passiert. Auch, weil sie sich im Vorfeld Gedanken gemacht hat, was als Nächstes kommen soll: ein sogenannte­s Gap-Year, in dem sie all ihre begonnenen Projekte weiter vorantreib­en will. Denn das riesige Netzwerk an Kontakten bleibt, eine weitere Erkenntnis, über die die Kressbronn­erin sehr glücklich ist.

Und ein nächster Besuch in Norwegen steht auch schon fest: Am 22. September geht der Flieger wieder nach Norwegen – zunächst natürlich zu Eirik, dann aber weiter zur „Youth Peace Conference“nach Songdal, bei der die beiden ihren selbst komponiert­en Mottosong darbieten dürfen. „Der Auftritt in Oslo wird sogar im Fernsehen übertragen“, sagt SaraEstell­e, und die Aufregung ist ihr jetzt schon anzumerken. Im nächsten Jahr dann will sie mit dem Studium beginnen. Ob in Norwegen oder Deutschlan­d, das steht noch nicht fest. Aber mit ihrem internatio­nalen Abschluss stehen ihr weltweit alle Universitä­ten offen.

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FOTOS: PR Ein besonderer Moment der zwei Jahre in Norwegen: Sara-Estelle Gößwein bekommt ihr Abiturzeug­nis.
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Wieder beisammen: Papa Georg, Mama Isabell und Tochter Sara-Estelle Gößwein mit ihrem Freund Eirik.
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Sara-Estelle mit ihrer Freundin Sara aus dem Irak.

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