Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Im ganz geheimen Vollrausch
Nicht nur Firmen und Verbände, auch Spione nutzen das Oktoberfest zu „Fachgesprächen“
MÜNCHEN - Wie es die Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) hinkriegen, sich unerkannt auf dem Münchener Oktoberfest dem bayerischen Brauchtum hinzugeben, weiß man nicht. Aber sicher ist: Sie tun es, obwohl – so die Münchener Polizei – dank zahlreicher Videokameras kaum noch „tote Winkel“zu finden sind. Und obwohl es sich nach Angaben des Bundeskanzleramts von 2015 sogar um „zentral organisierte Großveranstaltungen“handelt.
Das Oktoberfest ist seit jeher ein wichtiges Datum im Terminkalender der Geheimdienstler, die bis vor dem Umzug nach Berlin ihre Zentrale im Münchener Vorort Pullach hatten. Und zu einer richtigen Behörde gehören Maßnahmen zur Hebung des Betriebsklimas und zur Pflege von Kontakten mit auswärtigen „Geschäftsfreunden“.
Auf Anfrage des früheren grünen Bundestagsabgeordneten HansChristian Ströbele bestätigte das Kanzleramt nur, dass sich auch Mitarbeiter des BND mit Billigung der Bundesregierung ab und an Hendln und Festbier hingäben – mehr aber auch nicht. Mit Ausnahme von 2011 seien seit 2005 „zentral organisierte Großveranstaltungen mit Vertretern ausländischer Nachrichtendienste auf dem Münchner Oktoberfest durchgeführt“worden, so die Antwort des Bundeskanzleramts.
Befreundete Dienste
So dezent wie man das im regierungsamtlichen Berlin gerne sehen würde, gehen die Geheimdienstpartys auf der Wiesn nicht über die Bühne. Besonders dann nicht, wenn bestimmte befreundete Dienste aus dem Ausland als Gäste geladen sind, wie ein Insider weiß. Auch Schlapphüte sind Menschen und wie bei Unternehmen und anderen Institutionen wird zu internationalen „Fachgesprächen“gerne an jenen zwei Wochen des Jahres nach München eingeladen, an denen auf der Theresienwiese die Maßkrüge geschwenkt werden.
Meistens seien es allerdings die befreundeten ausländischen Dienste, die für „Fachgespräche“die Münchener Wiesn-Zeit vorschlagen, ist intern zu hören. Die kämen dann oft in hochrangiger Besetzung. „Die Termine werden mit Fachgesprächen verbunden, um den direkten Nutzen für das dienstliche Interesse zu ziehen“, erläuterte 2015 der zuständige Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche.
Die 40 bis 50 Euro, die der Dienst angeblich pro Kopf springen lässt, reichen locker für bis zu vier Maß Bier – sofern der Betreffende auf feste Nahrung verzichtet. Und die tun auch bei „Geschüttelt-nicht-gerührt“-Top-Agenten ihre Wirkung. So habe ein ausländischer Geheimdienstchef einmal nur mit Mühe davon abgehalten werden können, in einem Zelt den Taktstock der Festkapelle zu schwingen. Das darf man nämlich gegen die Entrichtung eines nicht unwesentlichen Obolus. Geheimhaltung und Diskretion zu wahren sei auch gelegentlich eine Herausforderung, wenn es etwa darum gehe, die redselig gewordenen Kollegen beider Seiten einzubremsen.
Die „Fachgespräche“wirken gelegentlich länger nach. Oft bitten die eingeladenen Gäste darum, den Meinungsund Erfahrungsaustausch erst am Nachmittag des Folgetages fortzusetzen. Die in Dirndl gezwängten BND-Sekretärinnen sollten auch stets Adressen von Schnellreinigungen parat haben, so ein Insider. Dafür werden sie mit reichlich Lebkuchenherzen belohnt: Großformatige von den höherrangigen, kleinere von den mittelwichtigen Geheimdienstlern. Die Aufschriften sind nicht bekannt.
Als Verschlusssache eingestuft
Der Abgeordnete Ströbele konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Fachgespräche auf der Wiesn dem Bundeskanzleramt eher peinlich seien. Denn genauere Angaben dazu stufte das Bundeskanzleramt als gemeine Verschlusssache ein. Begründung: „Ein Verstoß gegen die vorausgesetzte Vertraulichkeit würde nicht nur die Fortführung der laufenden Gespräche in erheblichem Maß gefährden. Auch das internationale Ansehen des Bundesnachrichtendienstes würde herabgesetzt werden.“