Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Viel Kabale und wenig Liebe
Die CSU ringt um ihre Zukunft und Horst Seehofer um seine Posten
MÜNCHEN - Eigentlich redet Horst Seehofer selber seit Jahren – und bisher sichtlich mit Vergnügen – über seine Ablösung als bayerischer Ministerpräsident. Aber dies offenbar so wenig überzeugend, dass nun auch er erleben muss, wie gnadenlos die CSU traditionell mit schwächelndem Führungspersonal umgeht.
Sicher ist, dass Seehofer die wenig barmherzigen Spielregeln in seiner Partei so gut kennt wie kaum ein Zweiter. Er weiß, dass dort die Macht bevorzugt „an der noch warmen Häuptlingsleiche“verteilt wird – wie einer klagt, der nach dem Tod des Übervaters Franz Josef Strauß zu spät ans Totenbett nach Regensburg gelangte.
Seehofer weiß auch, wie wenig Treueschwüre in solchen Tagen gelten. Sie sind eher eine Zwischenlösung, um abzuwarten, woher der Wind weht. So hat der nun selbst Bedrängte seinem Vor-Vorgänger Edmund Stoiber noch öffentlich die Treue geschworen, als Stoibers Tage schon längst gezählt waren, nachdem er erst Bundeskanzler werden wollte und nach knapper Niederlage doch lieber in Bayern blieb. So wurden reichlich Karrierepläne obsolet.
Eine Gemengelage also, die deutlich macht, was in der CSU wohl gar nicht geht: mit dem eigenen Abschied kokettieren und dann doch im Amt bleiben. Strauß dachte noch als Siebzigjähriger nicht ans Aufhören, nicht laut zumindest. Er beließ es dabei, über ein „Wurzelgeflecht“möglicher Nachfolger zu plaudern. Logisch, ohne einen Termin zu nennen. Da konnten sich viele Hoffnungen machen, ohne gleich Bruderkriege anzuzetteln.
„Rechts von der CSU“, pflegte dieser Strauß zu sagen, dürfe es „keine demokratisch legitimierte Partei“geben. Die gibt es nun. Wahlergebnisse unterhalb der absoluten Mehrheit schienen für die CSU undenkbar. Nun sind sie die Realität. Nachdem es unter Edmund Stoiber, den sie wenig später aus dem Amt drängten, sogar eine Legislatur lang zur Zweidrittelmehrheit im Landtag gereicht hatte.
Rebellen im Hinterzimmer
Dennoch war zum Ende der StoiberÄra das Bedürfnis, den Strauß-Zögling loszuwerden, so beherrschend, dass die Rebellen am Rande einer Klausur im Winter des Jahres 2007 zu Wildbad Kreuth nicht einmal das noch eingeschaltete Mikrofon des Bayerischen Rundfunks bemerkten, als sie in einem Hinterzimmer ihre Schlachtpläne schmiedeten. Heraus kam dann dabei die knapp ein Jahr währende Regierung des Interimsministerpräsidenten Günther Beckstein.
Erwin Huber, seinerzeit bayerischer Finanzminister, sicherte sich beim Komplott in den tief verschneiten Tegernseer Bergen die Mehrheit zum Parteichef. Seehofer wurde am Rande des Machtkampfs mit einer außerehelichen Vaterschaft denunziert – und unterlag dem Parteifreund Huber krachend bei der Kampfkandidatur um den Parteivorsitz.
Der Ausgang ist allgemein bekannt: Am 28. September 2008 verlor die CSU 17,3 Prozent der Stimmen und damit die absolute Mehrheit im Landtag. Seehofer setzte schon in jenen Tagen tiefer Trauer seine Truppen in Bewegung, beanspruchte nicht nur den Posten des Regierungschefs, sondern gleich noch den Parteivorsitz. Eine Ämterhäufung, die sich von Strauß über Stoiber als wirksamstes Mittel erwies, die CSU im Griff zu haben.
Anders, ahnen nicht nur Historiker, geht es wohl nicht. Das musste als Parteivorsitzender auch Theo Waigel erfahren, an dem sich in der Folge die Ministerpräsidenten Max Streibl und Edmund Stoiber abarbeiteten als wäre der schwäbische Bundesfinanzminister der wahre politische Gegner.
Glückloser Streibl
Aus der Episode mit dem glücklosen Streibl, der am Ende wegen einer geschenkten Fernsehschüssel und einigen Einladungsreisen den Hut nehmen musste, wissen sie in der CSU, wie gefährlich Übergangskandidaten werden können: Entweder kosten sie Reputation wie Streibl. Oder man wird sie nicht mehr los, weil sie im Amt zu vorher ungeahnter Größe wachsen. Wie einst Alfons Goppel, der letzte wahre Landesvater, den Strauß im Jahr 1978 mit schier körperlicher Präsenz aus dem Amt drängte.
Was zunächst mit Stoiber und nun mit Seehofer abgeht, war noch unter Strauß schlicht nicht vorstellbar: Sie schimpften ihn zwar für die Vermittlerrolle beim letzten Milliarden-Kredit ans DDR-Regime. Sie sagten ihm Mitschuld am Erstarken der Republikaner-Partei nach. Und sie tuschelten über Amouren. Aber noch als die Feiern zum Siebzigsten des Alten Bayern in den Ausnahmezustand versetzten, war an öffentliche Nachfolge-Spekulationen nicht zu denken.
Dann kam, buchstäblich aus heiterem Himmel, der tödliche Zusammenbruch auf einem Jagdausflug beim Regensburger Fürsten. Und wenig später Streibl – Ergebnis siehe oben. Die Angst, dass über die Zukunft der CSU noch einmal an Totenbetten entschieden werden könnte, gehört seitdem zur Seele der lange stolzen Partei. Und die Bereitschaft, notfalls mit harten Bandagen zu kämpfen.
Um Streibl zu beerben, griff Stoiber sogar zum Mittel der öffentlichen Selbstbezichtigung wegen Gratis-Urlaubsdienstreisen an der Seite von Franz Josef Strauß. Streibl sagte zu Waigel den denkwürdigen Satz: „Und ich dachte immer, du bist mein Feind.“Und Horst Seehofer weiß genau, dass unter denen, die ihm jetzt die Stange halten, nicht wenige sind, die nichts mehr fürchten als einen Stabwechsel unter Zeitdruck.
Noch gilt die Devise Zuwarten auch für den derzeitigen Favoriten Markus Söder: Der bayerische Finanzminister macht keinen Hehl daraus, dass er Seehofer beerben will. Aber er kennt auch genau die Ängste, erneut ein ausgeprägtes Alphamännchen an der Spitze zu haben – zumal aus dem mächtigen CSU-Bezirk Oberbayern. Er hat Söder momentan keinen wirklichen Rivalen entgegenzusetzen. Weshalb die Solidaritätsadressen für Seehofer aus Oberbayern besonders laut tönen.
Die Stimmung ausloten
Was bis dahin an Geplänkel abläuft, betrifft eher Versuche, die Stimmung in der Partei auszuloten. Im November, auf dem CSU-Parteitag mit Vorstandsneuwahlen, wird es dann ernster. Vielleicht hat Seehofer noch die Chance und Macht, seine Dinge selber zu regeln. Im Herbst des kommenden Jahres wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Vor dem vergangenen Sonntag wäre die CSU womöglich zu befrieden gewesen mit dem Seehofer-Versprechen, zur Mitte der neuen Legislaturperiode abzutreten. Das wird nun vermutlich nicht mehr genügen.