Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Kanzler Kern strauchelt nach Skandal um Schmutzkampagne
Wahlkämpfer der regierenden SPÖ wollten den konservativen Spitzenkandidaten Kurz mit gefälschten Facebook-Profilen diskreditieren
WIEN - Im bislang eher langweiligen Wahlkampf in Österreich ist eine schmutzige Bombe geplatzt: Die Sozialdemokraten erleben mit gefälschten, antisemitisch gefärbten Facebook-Seiten gegen den konservativen Favoriten Sebastian Kurz zwei Wochen vor der Wahl einen „Super-GAU“, wie es ein Meinungsforscher formulierte. Dem amtierenden Kanzler Christian Kern sei jegliche Aussicht auf einen Wahlsieg genommen.
Was war geschehen? Am Wochenende tauchten Medienberichte auf, wonach die Urheber einer antisemitisch gefärbten Schmutzkampagne gegen Kerns Hauptrivalen, Sebastian Kurz, im Wahlkampfmanagement der Sozialdemokraten (SPÖ) zu suchen seien. Auf der Facebook-Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“wird der amtierende Außenminister – im krassen Gegensatz zu seiner Abschottungspolitik – als Befürworter von Flüchtlingsströmen nach Europa verunglimpft. Ferner wird behauptet, Kurz’ Wahlkampf werde vom jüdisch-amerikanischen Finanzspekulanten und Philanthrophen Georges Soros unterstützt. Eine ähnlich antisemitisch gefärbte Kampagne gegen Soros führt seit Monaten auch Ungarns Premier Viktor Orbán, der dem steinreichen Soros vorwirft, politische Gegner und NGOs und deren „Willkommenspolitik“für Flüchtlinge finanziell zu unterstützen.
Jubel von falschen Fans
Eine zweite Facebook-Seite mit dem Titel „Wir für Sebastian Kurz“täuscht eine Fan-Gemeinde des ÖVP-Kandidaten vor, ist aber eine Fälschung. Auf dieser Seite wird Kurz für seine restriktive Flüchtlingspolitik und die Favorisierung der rechten FPÖ als Koalitionspartner gepriesen. Die „Freunde“wurden auch aufgefordert, über eine Schließung der Brennergrenze abzustimmen.
Inhalt und Stil sollten als Urheber entweder die rechte FPÖ oder die ÖVP entlarven, um junge und liberale Österreicher von der Wahl des Favoriten Kurz abzuschrecken. Tatsächlich aber stammen beide Facebook-Seiten aus der Kampagnenwerkstatt der SPÖ. Deren Schöpfer ist der umstrittene, international tätige Wahlkampfmanager Tal Silberstein, den die SPÖ als Ideengeber engagiert hatte. Von Silberstein hat man sich getrennt, als dieser Mitte August in Israel wegen anderweitig dubioser Geschäfte festgenommen worden war.
Kanzler und SPÖ-Chef Kern versicherte am Sonntag, nichts von der Schmutzkampagne gegen seinen Rivalen gewusst zu haben. Offensichtlich habe ein Teil der SilbersteinMannschaft die Kampagne ohne Wissen der Partei fortgesetzt, bis der Vorgang am Wochenende publik wurde. Kern räumte ein, dass ein ExSPÖ-Mitarbeiter dabei gewesen sei, doch sein Name wird nicht preisgegeben.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler, der als Wahlkampfleiter schon vorher als überfordert galt, trat am Wochenende zurück. Kern hingegen will von einem Rücktritt so kurz vor der Wahl freilich nichts wissen: „Unser Vertrauen wurde missbraucht“, klagte er am Sonntag vor Journalisten im Kanzleramt und kündigte eine „völlige Aufklärung“der Affäre an. Allerdings blieb Kern die Erklärung schuldig, wie es möglich sei, für die Schmutzkampagne eine halbe Million Euro zu budgetieren, ohne dass führende Parteiverantwortliche davon Kenntnis hätten.
In der SPÖ mehren sich die Anzeichen für einen Machtkampf, dessen Folgen der Bundeskanzler vielleicht nicht zufällig in der Schlussphase des Wahlkampfs zu spüren bekommt. So lehnt Kern eine Koalition mit der rechten FPÖ ab und erklärt, in Opposition gehen zu wollen, sollte die SPÖ nur auf dem zweiten Platz landen. Das passt dem rechten Parteiflügel nicht, weshalb gezielt in den Medien eine Debatte um eine Ablöse Kerns durch Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil lanciert wurde. Aufschlussreich ist auch, wie vorige Woche dem zwielichtigen Boulevardblatt „Österreich“ein SPÖ-internes Strategiepapier zugespielt wurde, in dem Kern Führungsschwäche und mangelnder Kampfgeist attestiert wird. Er reagiere auf Kritik wie eine „eitle Prinzessin mit Glaskinn“, hieß es. Quelle dieses Papiers ist – ausgerechnet – die „Ideenwerkstatt“des Herrn Silberstein.