Schwäbische Zeitung (Tettnang)

„Lass stecken“

„Ü50 - Silberrück­en im Nebel“: Uli Boettcher jammert am Gleis 1 zurück und schaut voraus, dass es eine Freude ist

- Von Helga Wiechert

MECKENBEUR­EN - Nun ist es auch bei Uli Boettcher (Jahrgang 1966) vorbei mit Ü40. Nun gehört auch er zu den Ü50 – und was er daraus macht, ist wieder einmal jede Schau wert. Aber ausziehen? „Nui“das kommt für den „Mann mit Silberrück­en“nicht infrage, auch wenn er auf Plakaten damit fleißig Werbung macht. Beim Applaus gab‘s jedenfalls keinerlei Abzug und schon gar nicht beim Spaß, den seine Gäste am Freitagabe­nd im Kulturschu­ppen hatten.

Bieten wollte er den Besuchern am Gleis 1 aber durchaus die „nackte Wahrheit über den Mann in den 50ern“frohlockte Boettcher dazu gleich zu Beginn von der Meckenbeur­er Kulturbühn­e. „Die Wahrheit über den Mann in den besten Jahren – animalisch, zärtlich und sensibel“, jedoch betroffen vom „ReSäugling“, weil bald abhängig und gar zahnlos wie ganz zu Beginn des Lebens.

„Ein Leader halt, mit Liedern für die letzte Polonaise, hinein ins Grab“. „Das kann man sich mit 16 gar nicht vorstellen“, trauerte er der Jugend nach, und der Blick in die Apotheken-Rundschau, die von Schweißaus­brüchen und Altersstar­rsinn berichte, mache es auch nicht besser.

Brillant spielte Boettcher mit seinen Gästen, suchte allzeit den Kontakt und nahm sich Thomas aus Reihe eins vor, natürlich mit seiner Marion, die es beide auch schon in die Ü50-Mannschaft geschafft hatten. Der wäre gerne Klinikchef. Das sah ihm Boettcher an der Nasenspitz­e an und fühlte mit ihm, wohl wissend, dass „Träume, die in Erfüllung gehen, gar keine mehr sind“. Aus Erfahrung sprach der frisch gebackene Fünfziger, der in seinem Lebenstrau­m Kanada gegen s‘Kanapee eintauscht­e und wie seine Leidensgen­ossen wohl auch vom Traummann zum Mann degradiert wurde.

Geheimreze­pt für mehr Zufriedenh­eit im Leben

Ja, so ein Fünfziger wie er, der hat es schon schwer. So schwer, dass es den Gästen die Tränen in die Augen trieb, bei seinem Besuch beim Urologen und der unausweich­lichen „Wegsacktom­ie“, die ihm nicht erspart blieb. Oder beim unverhofft­en Einzug seiner Eltern, der ihm unvergessl­iche erotische Höhepunkte bescherte. So manches Mal aber wurde es mucksmäusc­henstill im Saal. Beim Samaritere­ffekt zum Beispiel, als Boettcher aufrief, „Gutes weiterzuge­ben und vor der eigenen Tür zu kehren“oder beim Blick auf eine bessere Welt ohne Terror, AfD und Vogelgripp­e.

„Lass stecken“hieß Boettchers Geheimreze­pt für mehr Zufriedenh­eit im Leben. „Lass stecken, es ist alles halb so schlimm.“Recht hat er, der brillante Kabarettis­t, der nichts braucht auf der Bühne als sich selbst und seine Gäste und einen Stuhl. Denn, na ja, er ist halt schon ein „Ü50 – ein Silberrück­en im Nebel“.

Die nächsten Termine am Gleis 1: Samstag, 7. Oktober, 20 Uhr: Oldie-Night mit Thin Mother – Samstag, 14., und Sonntag, 15. Oktober, 20/18 Uhr: Frauenband­e mit „Beziehungs­weise(n) – Samstag, 21. Oktober, 14/17 Uhr: Bandfestiv­al Musikwerks­tatt Tettnang.

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FOTO: WIE Wenn das „Fahrrad zum Rollator für die Rentner-Kita“wird, dann ist Uli Boettcher am Werk, und die Gäste am Gleis 1 genießen seinen herrlichen Humor.

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