Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Schwieriger Besuch in Budapest
Flüchtlingspolitik bestimmt Gespräche von Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf
BUDAPEST - Der Schwabenberg erhebt sich kurz hinter Budapest. Das erzählt Ungarns Justizstaatssekretär dem baden-württembergischen Justizminister Guido Wolf. Endlich etwas verbinden in diesem schwierigen Gespräch in Ungarns Hauptstadt? Weit gefehlt. Soldaten aus Schwaben lagerten dort, so der Staatssekretär, um als Teil christlicher Heere Budapest vom Joch des Islams zu befreien. Die Botschaft: Anders als heute wart ihr mal auf unserer Seite, wenn es gegen Eindringlinge aus dem Orient ging.
Die Szene zeigt, auf welch schwierigem Parkett sich Wolf bei seinem Besuch in Budapest bewegt hat. Als Minister für Justiz und Europa hatte er es mit Vertretern einer Regierung zu tun, die auf beiden Feldern problematische Linien verfolgt. Ungarns Weigerung, sich an Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu halten, bedeutet eine ernste Gefahr für Europa, sollte sie Schule machen.
Treffen mit Regierungskritikern
Premier Viktor Orbán und seine rechtsnationale Fidesz-Partei lenken das Land seit 2010. Nun kämpft sie darum, bei den Wahlen im April 2018 erneut mehr als die Hälfte der Ungarn hinter sich zu bringen – worauf die Umfragen hindeuten. Doch Orbán geht gerne auf Nummer sicher und so hängen überall Plakate, die den Milliardär George Soros zeigen. Ihn beschuldigt die Regierung, er wolle mit seinen Milliardenspenden an Nicht-Regierungsorganisationen Millionen Flüchtlinge ins Land lotsen – eine offensichtlich abenteuerliche These.
Eine Regierung, die ein halbes Jahr vor der Wahl für die eigene Partei wirbt, finanziert aus Steuergeldern – in Deutschland undenkbar. Gergely Gulyás, Fraktionschef der Fidesz, sagt lapidar: „Diese NGOs kritisieren uns, deshalb führen einen politischen Kampf. Im Wahlkampf ginge das natürlich auch in unserem Rechtsstaat nicht. Aber der Wahlkampf beginnt rein rechtlich erst 52 Tage vor dem Wahltermin.“
Wolf trifft auch Regierungskritiker. Ihr Bild von der Demokratie Ungarns ist düster „Ungarn ist keine Diktatur, aber es gibt keine echten Gegengewichte zur Macht des Ministerpräsidenten“, sagt einer. Orbán sorgt geschickt dafür, dass das so bleibt. Regierungskritische Zeitungen werden von Orbán-nahen Investoren aufgekauft und aus vorgeschobenen wirtschaftlichen Gründen geschlossen. So ist das eben in einer Marktwirtschaft, wenn sich Geschäfte nicht mehr lohnen, heißt es dazu.
Nach außen soll die Demokratie intakt wirken, aber an vermeintliche Kleinigkeiten zeigt sich, wie es um sie steht. So kann das Parlament selbstverständlich einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Nur: Dazu benötigen die Abgeordneten eine absolute Mehrheit. Gegen die amtierende Regierung und ihre Fraktionen ist das Kontrollgremium also nicht durchsetzbar. Im deutschen Bundestag reicht ein Viertel der Abgeordnetenstimmen, um einen solchen Ausschuss einzurichten.
Die Flüchtlingspolitik ist neben der Sorge um den Rechtsstaat Ungarns eines der bestimmenden Themen von Wolfs Besuch. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Ungarn dazu verurteilt, sich an einen Beschluss der EU-Mitglieder zu halten und Flüchtlinge aufzunehmen. 90 000 sollen auf die EU-Staaten verteilt werden, Ungarn müsste knapp 1300 beherbergen. Die Regierung betont zwar, man akzeptiere den Richterspruch. Es bleibe aber dabei: Budapest lasse sich von Brüssel nicht zwingen, Flüchtlinge aufzunehmen. Wolf mahnt seine Gesprächspartner deutlich: „Hinter der Flüchtlingskrise droht eine viel größere Krise – eine Krise Europas.“Solidarität untereinander und gemeinsame Verantwortung für Probleme seien Grundlagen der EU. Wer sich nicht an Vereinbarungen und Urteile halte, sei eine Gefahr für die Union.
Zoltán Balog, Bildungs- und Sozialminister, versucht solche Sorgen zu zerstreuen. „Wir wollen in der EU bleiben, aber wir wünschen uns eine andere Art, wie sie funktionieren soll“. Doch klar ist auch im Gespräch mit ihm: Ungarn wünscht sich ein anderes Europa. Weniger Kompetenzen für Brüssel, eine Konzentration auf die Wirtschaftsunion. Dafür sucht das Land Verbündete. Derzeit leitet Ungarn die Visegrad-Gruppe, der außerdem Polen, Tschechien und die Slowakei angehören. Sie stützt diesen Kurs. Nach dem Wahlsieg der ÖVP in Österreich hofft Budapest auf Rückenwind aus Wien. Regierungskritiker warnen aber davor, Ungarn wie einen Paria zu behandeln. „Wenn Orbán überhaupt auf jemanden hört, dann auf Stimmen aus Deutschland“, sagt einer der Regierungskritiker.