Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Spanische Siesta

- Von Jasmin Birkenmaie­r

Als ich vor knapp zwei Monaten in Spanien ankam, mit zwei großen Koffern und noch größeren Erwartunge­n, bereit, ein Semester im Ausland zu verbringen, stellte ich gleich in der ersten Woche fest: Klischees und Vorurteile haben meist doch ihren wahren Kern. Selbstzufr­ieden schmunzeln­d hakte ich auf meine mentalen Liste jeden Tag ein Vorurteil nach dem anderen als bestätigt ab.

Die Damen im Sekretaria­t arbeiten in einer Seelenruhe trotz nicht enden wollender Schlange und nichts geht voran? Typisch Spanien. Keiner spricht so wirklich Englisch? Typisch Spanien. Siesta von 14 bis 17 Uhr? Typisch Spanien. Alle erscheinen zu spät zur Vorlesung inklusive der Profesor selbst? Wieder mal so typisch.

Meine beiden Lieblingsk­lischees aber sind meine spanischen Mitbewohne­r. Sie sind der lebendige Beweis dafür, dass Spanier bis 12 Uhr schlafen, dann ihren Café con leche trinken, um sich dann um 14 Uhr für die Siesta abzumelden. Zumindest am Wochenende. Ich dagegen wurde in den ersten Wochen schon vor meinem Wecker wach, sprang frühmorgen­s aus dem Bett und startete top motiviert in den Tag.

Die Betonung hierbei liegt auf: in den ersten Wochen. Erschrocke­n musste ich heute wieder feststelle­n, dass es bereits 11 Uhr war, als ich mich aus dem Bett quälte. Auch zur Vorlesung erscheine ich mittlerwei­le mit regelmäßig­er Unpünktlic­hkeit. Jetzt sind es meine Mitbewohne­r, die mir selbstgefä­llig schmunzeln­d verkünden, dass sie heute schon seit 7 Uhr auf den Beinen sind. Und ich frage mich: Habe wir uns so sehr aneinander angepasst oder sind die Klischees vielleicht doch nur Klischees - nicht mehr und nicht weniger?

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