Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Gutachter geben bei Klima und Verkehr Entwarnung
Erste Bewohner könnten ab 2021 auf dem Rinker-Areal einziehen – Lebensmittelfiliale geplant
RAVENSBURG - „Wir wollen auf dem Rinker-Areal nicht nur 300 Wohnungen bauen – unser Anspruch ist es, dort ein Quartier zu entwickeln, in dem sich die Leute auch in 15 Jahren noch wohlfühlen“, macht Ingo Traub von der Reisch Projektentwicklung deutlich. Mit dem Bregenzer Bauträger Rhomberg geht Reisch auf dem drei Hektar großen Gelände in der östlichen Vorstadt Ravensburgs größtes Konversionsprojekt an. Inklusive Kita, Senioren-WGs, Bäcker, Metzger sowie Paket-Abhol- und Elektroauto-Ladestation. Dabei soll der Verkehr nicht groß zunehmen, versprechen die Bauträger.
Momentan justieren die beiden Gewinner des Architektenwettbewerbs ihre Entwürfe nach. Kurz vor Weihnachten darf das mit Vertretern aus Politik, Verwaltung, Städtebaubeirat sowie freien Architekten und Landschaftsplanern besetzte Preisgericht, dessen Arbeit eigentlich schon getan ist, nochmals ein Wörtchen dabei mitreden, welcher Entwurf letztlich den Zuschlag bekommt. Und dann als Masterplan für die städtebauliche Gesamtkonzeption des Areals zugrunde gelegt wird. Diesen Kulanz-Akt begründet Joachim Nägele von Rhomberg damit, „dass wir eine möglichst breite Zustimmungsbasis für das Projekt wollen“. Ihm ist außerdem daran gelegen, „dass das Konzept zu Ravensburg passt und sich in die Umgebung eingliedert“. Riesenklötze sind daher bereits in Runde eins ausgeschieden.
Für die Gestaltung der einzelnen Gebäude können dann unterschiedliche Architekten Entwürfe beisteuern – damit das neue Baugebiet später möglichst bunt und variantenreich ausschaut: „Wir wollen kein monotones Stadtviertel“, stellt Traub klar. Das gilt nicht nur in Bezug auf die Gestaltung: Neben Familien können zwischen Rinker- und Holbeinstraße ab 2021 auch Studenten und Senioren in Wohngemeinschaften, Mehrgenerationenhäusern oder Mikroapartments ab einer Größe von 25 Quadratmetern einziehen – sowohl zur Miete als auch in Eigentumswohnungen. Betreutes Wohnen und ein Pflegedienst sind ebenso angedacht wie eine Quartierversorgung. Traub denkt da an Bäcker, Metzger oder kleine LebensmittelFilialen, gegebenenfalls ergänzt von Lieferservice (Stichwort: Essensoder Gemüseboxen) und einer Abholstation für im Internet bestellte Waren. Hintergrund ist neben dem Servicegedanken, den Autoverkehr so gering wie möglich zu halten. Weshalb die Kindertagesstätte im Eingangsbereich des Areals platziert wird.
90 Autos mehr pro Tag
Auch die Anwohner selbst sollen am besten gleich gar nicht bis vor ihre jeweilige Haustür fahren, sondern ihre Autos in der Tiefgarage abstellen – Zufahrten wird es vor allem von der Rinker-, aber auch von der Holbeinstraße aus geben. Ein Gutachten kommt zu der einigermaßen überraschenden Erkenntnis, dass der Verkehr nicht signifikant zunehmen werde, wenn künftig 500 bis 600 Menschen auf dem Rinker-Areal leben: Das neue Verkehrsaufkommen liege innerhalb von 24 Stunden lediglich um 90 Autos – mithin in den Spitzenstunden um neun Autos – höher als bisher. Zu Vetter-Zeiten seien täglich rund 40 Lastwagen auf das Gelände und wieder zurück gekurvt. Geplant ist laut Nägele, die Rinkerstraße an der Einfahrt Wangener Straße in eine Links- und Rechtsabbiegespur aufzuteilen. Zudem mache auf der Wangener Straße stadtauswärts eine Linksabbiegespur in die Rinkerstraße Sinn. Dies werde momentan geprüft.
In Sachen Klima geben die Gutachter ebenfalls grünes Licht: Bislang sind 90 Prozent des Geländes zugebaut – bei der Neubebauung sei „von einem geringeren Versiegelungsgrad auszugehen“. Auch die „bodennahe Durchlüftung“werde wohl eher besser, „insbesondere die abendlichen Hangabwinde können das Gebiet besser durchströmen als im Istzustand“, heißt es weiter in dem Gutachten. Denn die Fabrikhallen speichern eine Menge Wärme, geben sie nachts ab und stören dadurch die Kaltluftströme. Selbst bis zu zehngeschossige Gebäude seien klima-schutztechnisch vertretbar, sofern kleinteilig gebaut werde und es zwischen den Häusern genügend Freiflächen gebe, erläutern die Bauherren. Eine als „städtebauliche Barriere“wirkende Schallschutzwand wollen sie vermeiden und setzen stattdessen auf Schallschutzfenster. Auch das Denkmalamt war vor Ort, hat aber vom historischen Triebwerkkanal außer ein paar wertlosen Tonscherben nichts Schützenswertes ausfindig gemacht. Der aktuellere Triebswerkskanal verläuft auf weite Strecken so tief unter der Erde und führt so wenig Wasser, dass er wohl verdohlt bleiben und nicht freigelegt werden wird.