Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ulmer Gemeinderat solidarisch mit Tolu
Auch der Gemeinderat fordert Freilassung – Spekulationen um Geheimverhandlungen
ULM (mö) - Vor dem nächsten Prozesstag am 18. Dezember im Fall der in der Türkei inhaftierten Journalisten Mesale Tolu demonstrieren Familie, Freunde und die Stadt Ulm Solidarität. Am Wochenende forderte erstmals auch der Ulmer Gemeinderat Freiheit für die 32-Jährige und mahnte ein faires Verfahren an. Vergangene Woche war der ebenfalls inhaftierte Ehemann Tolus, Suat Corlu, vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden. Der gemeinsame dreijährige Sohn des Paares wird kommende Woche nach Deutschland zurückkehren.
ULM - Familie und Freunde der in der Türkei inhaftierten Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu setzen im Vorfeld des nächsten Prozesstages am 18. Dezember auf öffentliche Kundgebungen, mediales Interesse und politischen Druck, um die Freilassung der aus Ulm stammenden 32Jährigen zu erreichen. Am Samstag solidarisierte sich erstmals der gesamte Ulmer Gemeinderat mit Tolu und forderte ein schnelles und faires Verfahren. Cengiz Dogan vom Ulmer Tolu-Freundeskreis sagte der „Schwäbischen Zeitung“, dass der Freundeskreis Prozessbeobachter aus Ulm fordere. Neben der LinkenAbgeordneten Heike Hänsel aus Tübingen sollten auch Ulmer Politiker oder Juristen nach Istanbul reisen.
Die Räume für die Solidaritätsveranstaltung mit 150 Teilnehmern in der KZ-Gedenkstätte Oberer Kuhberg hat ein breites Ulmer Bündnis mit Bedacht ausgewählt: Der Gemeinderat der Stadt Ulm, das lokale Solidaritätsbündnis für Mesale Tolu, der Arbeitskreis Menschenrechtsbildung, das Anna-Essinger-Gymnasium, an dem Mesale Tolu ihr Abitur abgelegt hat, und Landtagsabgeordnete wollen deutlich machen: Auch die politischen Gefangenen sind nicht vergessen. „Hier wurden zwischen 1933 und 1937 auch politische Häftlinge gefangen gehalten. Ohne Verfahren, ohne rechtlichen Beistand und ohne eine konkrete Vorstellung, wie lange das alles dauern und wie es ausgehen würde“, sagt der CDU-Fraktionschef im Ulmer Gemeinderat, Thomas Kienle. Stellvertretend für alle Parteien fordert Kienle: „Wir erwarten, dass Mesale Tolu an Weihnachten wieder zu Hause ist.“Er fordert zudem einen schnellen und fairen Prozess für die Inhaftierte.
Die Hoffnung auf Bewegung in dem seit April andauernden Verfahren hat einen konkreten Grund: In der vergangenen Woche war der ebenfalls inhaftierte Ehemann Tolus, der Journalist Suat Corlu, dem wie seiner Frau Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen wird, vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden. Einige Teilnehmer der Veranstaltung sind optimistisch, dass nun auch Mesale Tolu am 18. Dezember freikommen wird: Die Vorwürfe gegen sie ließen sich ebenso wenig beweisen wie gegen ihren Mann. Andere Beobachter sind skeptisch, sind die politischen Gefangenen doch ein Faustpfand in der Hand des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Hoffen auf Freilassung
„Ich denke, dass man etwas bewegt hat von hier aus“, sagt Hüseyin Tolu, der Bruder der Inhaftierten: „Dass die Medien uns sehr viel damit unterstützt haben, dass sie das immer am Laufen gehalten haben, dass man das nicht vergessen hat.“Über die Freilassung seines Schwagers sagt er: „Das war wieder so eine Situation, in der wir gedacht haben: Er kommt doch nicht raus. Dann hat der Richter entschieden: Freilassung von Suat Çorlu – und wir fanden das super.“Er hofft auf die Freilassung seiner Schwester: „Das gibt uns die Hoffnung, dass Mesale am 18. Dezember freigesprochen wird.“
Der dreijährige Sohn von Mesale Tolu und Suat Corlu werde in der kommenden Woche nach Deutschland zurückkehren und in den Kindergarten gehen, sagt Cengiz Dogan vom Ulmer Tolu-Freundeskreis. Der Bub hatte seit der Festnahme im April bis vor wenigen Wochen mit seiner Mutter gemeinsam im Gefängnis gelebt, war dann bei der Familie in Ulm und hatte zusammen mit seinem Großvater den Prozessauftakt gegen seinen Vater in Istanbul erlebt.
Nach dessen Freilassung hatte er zu seinem Vater gesagt: „Holen wir jetzt auch die Mama ab?“
In Ulm wird an diesem Samstag auch ein Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“diskutiert. Danach soll der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der Bundesregierung bei den Geheimverhandlungen um die deutschen Gefangenen in der Türkei einen Gefangenenaustausch vorgeschlagen haben. Wie das Magazin berichtet, bot Erdogan an, in der Türkei inhaftierte Deutsche wie Tolu oder den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel freizulassen. Im Gegenzug sollten mehrere türkische Offiziere ausgeliefert werden, die der Präsident als Verschwörer beim Putschversuch im Juli 2016 verdächtigt. Er soll den Vorschlag unter anderem bei einem Gespräch mit Altkanzler Gerhard Schröder gemacht haben. Dieser lehnte das Angebot ab.