Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Vortrag über das Wesen der Kunst
Referent Peter Richter provoziert in der Stadtbücherei mit seinen Thesen
TETTNANG (anrö) - Um das Wesen der Kunst ist es vergangene Woche in der Stadtbücherei in Tettnang gegangen: Peter Richter, Professor im Ruhestand und Architekt, provozierte einen kleinen Zuhörerkreis mit seinen Thesen über das Thema „Was ist Kunst?“.
Cosima Kehle, Leiterin der Bücherei, begrüßte die Gäste und erklärte, dass die Idee dazu vor einem Jahr entstanden sei, als Kurator und Kunstlehrer Volker Sonntag einen Vortrag über dasselbe Thema gehalten habe. Die anschließende Diskussion habe Peter Richter inspiriert, dieses komplexe Thema noch einmal neu zu beleuchten und damit den Zuhörern eigene Standpunkte zu eröffnen. Was ist Kunst heute? Am Beispiel eines Eisbergs stellte er den Aufbau dar: Die elitäre Kunst, nahezu unbezahlbar, sei die Spitze. Gemeinsam mit der zertifizierten Kunst, zu der auch die Architektur zähle, bilde sie ein Achtel des Eisbergs. Die restliche Menge sei die gemeine Kunst, bestehend aus guter und schlechter Kunst sowie auch Kitsch.
Pablo Picasso habe gesagt: „Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es für mich behalten“. Kunst ist, was ein Künstler macht und Kunst ist, was im Museum steht. Trifft das zu? „Ist das Kunst, oder kann das weg?“, fragt eine Putzfrau beim Aufräumen und so werde der wahre Wert der Kunst infrage gestellt. Häufig würde Kunst als Deckmantel für Verstöße gegen die guten Sitten, für Klamauk und Regelverstöße benutzt. Oder die immense Größe eines Objektes, der Sensationscharakter und sogar der Ekelfaktor wie bei Piero Manzonis „Künstlerscheiße in Dosen“oder Damien Hirsts geschlachteten Tieren, waren erfolgreich und erzielten utopische Preise. Kunst sei zu einem kalkulierten Geschäft geworden, so Richter, und werde als Mittel zum Zweck benutzt. Das Etikett „Kunst“bringe Aufmerksamkeit und Erfolg: „Etikettenschwindel und Mogelpackungen? Leerverpackungen für eine uniforme Konsumgesellschaft?“Der Marketingaufwand steige, die Marktpreise explodierten und der Kunstwert gehe immer weiter nach unten, so Peter Richter. Was ist Unsinn und Sinn heutiger Kunst? Was für einen Sinn außer Provokation, erkennt man zum Beispiel bei Kleidern aus Fleisch oder einem Bild, das aus einem Schlitz in der Leinwand besteht und 135 000 Euro kostet? Bei Vernissagen werde der Sinn „herbeigeschwätzt“. Richter nennt es „Gunstgeschwätz“. Experten interpretieren Besonderes in die ausgestellte Kunst hinein, das nicht vorhanden ist, die Verantwortung wird auf den „dummen“Betrachter abgewälzt, der sich bemühen müsse, die Kunst zu verstehen.
Habe der Künstler die Fähigkeit, seine Person gut zu vermarkten, wolle man seine Kunst besitzen, wie das teure Auto oder die Yacht. Galeristen, die hauptsächlich Kaufleute seien und Kuratoren, deren Qualifikation an den Besucherzahlen gemessen werdem, profitierten, der Kunstwert ist bedeutungslos. Kunst solle jedoch Freude bewirken und Erkenntnis zeigen. Philosophen sahen in der Kunst an erster Stelle Schönheit und Erkenntnis, Ästhetik, Einheit, Form und Inhalt folgten. Wahre Kunst könne auch „verhüllt“offenbart werden, wie Christo zeigt. Oder Diether F. Domes, ein Künstler, der in Eriskirch lebte und der den Menschen zeigen wollte, was sie so nicht sehen. Für Peter Richter ist gute Kunst verständlich, ehrlich und nicht nur Illusion.
Wie wird sich die Kunst von morgen entwickeln? Laut Richter werde es immer mehr Massenproduktion geben, immer extremere Ideen für die Vermarktung müssen gefunden werden, um mit dem Prinzip Masse statt Klasse den Betrachter zu erreichen. In einer anschließenden Diskussion wurden einige Thesen Peter Richters als sehr „radikal“bezeichnet. Richter betonte, es sei seine Absicht gewesen, die Larve herunterzureißen und zum Nachdenken anzuregen.