Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein Mann und sein Auto
Der Vater der S-Klasse von Mercedes Benz, Hermann Storp, geht in den Ruhestand
SINDELFINGEN - Teilweise verdeckt vom Garderobenständer hinter der Tür hängt an der kurzen Seitenwand des Büros von Hermann Storp eine Bildercollage: „Die sind aus der Zeit als ich als Versuchsingenieur unterwegs war. Da hatte ich noch Haare auf dem Kopf.“Er zeigt auf ein Bild: „Da hat mich ein Sheriff im Death Valley angehalten, weil ich eine Strecke fuhr, die ich nicht fahren durfte.“Daneben: „Das ist ein Sheriff, der hat mich auf dem Weg nach Las Vegas angehalten. Das ist 20 Jahre her. Das sind Erinnerungen, die wirst du nicht los.“
Storp ist gerade dabei sein Büro im Sindelfinger Mercedes-Werk aufzuräumen, wobei das ein oder andere Erinnerungsstück zum Vorschein kommt, wie eine weitere Fotocollage, die Storp hinter einer langen Reihe verschiedenfarbiger Ordner, die auf einer funktionalen schwarz-silbernen Schrank-Regal-Kombination stehen, hervorholt. Auf zurechtgeschnittenen Bildern sind viele lachende Menschen zu sehen – unter ihnen Storp. „Da waren wir Floßfahren auf der Isar“, erinnert sich der Ingenieur. Das war im Jahr 2000. Denn genau zum Millennium, am 1. Januar 2000, kamen sich die S-Klasse und Storp näher.
Die Geschichte der S-Klasse von Mercedes Benz ist nicht komplett ohne das Kapitel Storp, das mit seinem Abschied kurz vor Weihnachten zu Ende gegangen ist. Der 61-jährige Ruhrpottler, der sich selbst gerne mal – halb scherzhaft, halb ernst – als bunten Vogel bezeichnet, hat dann 18 Jahre lang die Geschicke der mit S abgekürzten Sonderklasse gelenkt. Zwei Baureihen, den W 221 und den W 222, hat er auf die Straße gebracht und den Weg für eine dritte, den W 223, bereitet. Um letztere kümmert sich nun sein Nachfolger Jürgen Weissinger, der nur eine Tür weiter in einer technischen Besprechungen sitzt.
Königsklasse
Zunächst hatte Storp als sogenannter strategischer Projektleiter sechs Jahre lang die Kostenziele, die Wirtschaftlichkeit, die Produktionsrahmenbedingungen, die Design-Entwicklung und den Einkauf im Blick, aber er habe schon sehr früh sein Interesse an der Funktion des Baureihenchefs der S-Klasse gezeigt. Dass für diesen Posten schon ein anderer vorgesehen war, „das war mir eigentlich wurscht. Ich wollte den Job machen. Das war mein Ding. Wennschon, dennschon: Königsklasse!“, erzählt Storp. Den Zuschlag für seinen Traumjob, Baureihenchef der SKlasse, hat er dann im März 2006 erhalten – „Ich habe Glück gehabt.“
Doch wie viel Storp steckt denn in einem W 221 oder W 222? Bei dieser Frage schlägt er kurz einen ernsten Ton an und verweist auf sein Team, seine 160 Mitarbeiter, „die nichts anderes machen als S-Klasse“. Trotzdem bleibt er die Antwort nicht schuldig: 40 bis 50 Prozent stecke von Team-Storp im Flaggschiff der Mercedes-Flotte.
Das Zusammenspiel sei das spannendste an dem Job. „Der eine liefert den Motor, der andere die Kühlanlage. Die einen machen Crashtests, der andere einen Dauertest. Die füttern mich mit den Infos und dann lösen wir die Probleme,“erzählt Storp und gibt sich pragmatisch: „Nicht lange zögern. Wenn du merkst, es stimmt: weitermachen. Wenn du merkst es stimmt nicht, nimmst du den alternativen Weg.“Am Ende entscheide der Mercedes-Vorstand zwar über das Design, was aber die Technik betrifft, die werde akzeptiert, sagt Storp – mehr mit starkem Selbstbewusstsein als mit Stolz in der Stimme.
Die Technik, das wiederkehrende Thema. Jenes Thema, bei dem die Augen des 61-Jährigen leuchten, bei dem er schneller redet, bei dem er in Dialekt verfällt, bei dem er ins Schwärmen gerät. So auch wenn er erzählt, wie es war, als er als „Kühlungsmann“in der Kolonne mit funkelnagelneuen Prototypen des SLKRoadsters nach Italien, zur ovalen Teststrecke bei Nardo, gefahren ist. Wie ihn die Carabinieri angehalten haben und wissen wollten, was das für Autos sind. Storp seufzt: „Da gibt es schon spannende Storys. Das fand ich genial. Das war klasse.“
Um so überraschender ist dann das Bekenntnis des Technikbegeisterten, dass er seinen Job nicht vermissen werde. Nachdenklich, fast schon wehmütig spricht Storp von „den Menschen hier“, die er vermissen werde. „Ich durfte mir über einen langen Zeitraum eine optimale Mannschaft zusammenbauen. Das kannst du nicht alleine. Das werde ich vermissen – das Persönliche.“
Wenn das Büro aufgeräumt ist, wenn sich die Sicherheitsschranke des Sindelfinger Mercedes-Werks ein letztes Mal hinter Storp schließt, wird aus dem Vater der S-Klasse ein Privatier, der gerne reist, gerne Sport macht, gerne im Garten arbeitet und seine Eisenbahn wieder aufbauen möchte. Die hat er vor ungefähr 25 oder 30 Jahren abgebaut. Seitdem stehen 120 H0-Lokomotiven der Marke Märklin in Vitrinen. Dazu gibt es noch 150 Anhänger. Wieder ist es die Technik, die den 61-Jährigen begeistert: „Die alte Zink-Guss-Technik finde ich toll.“
Doch davor soll es in drei Monaten um die Welt gehen. Australien möchte Storp noch kennenlernen, nach Singapur will er reisen. In Vancouver (Kanada) muss er jemanden besuchen. Nach diesen drei Monaten will Storp entscheiden, ob ihm das Rentnerdasein gut gefällt, oder ob er vielleicht wieder zurückkommt. „Aber keine Fünftagewoche mehr, nicht mehr 14 Stunden am Tag. Beratend gerne.“Angebote zu arbeiten hat der promovierte Ingenieur auch schon erhalten – aus China. Da will er aber nicht hin, obwohl da „alle SKlasse fahren“.
Und was fährt der Vater der SKlasse im Ruhestand? Einen C-Klasse-Kombi mit Dieselmotor möchte er sich kaufen.