Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Und läuft und läuft und läuft
Die Wirtschaft brummt und niemand erwartet ein rasches Ende des Aufschwungs
BERLIN - Normalerweise malen Wirtschaftsverbände das Bild der Gegenwart eher in düsteren Farben. Doch in diesem Jahr sind die Aussichten zu gut dafür, wie die jüngste Konjunkturprognose des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) zeigt. „Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg in die Hochkonjunktur“, sagt BDI-Chef Dieter Kempf, „echte Risiken für eine Überhitzung sehen wir nicht.“Wie schon im vergangenen Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Einschätzung des Verbands auch 2018 um gut zwei Prozent zulegen.
Im vergangenen Jahr legte das BIP um stolze 2,2 Prozent zu, nach 1,9 Prozent im Vorjahr, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag anhand vorläufiger Zahlen bekannt gab. „Dieser Aufschwung ist kein Spurt, sondern ein Dauerlauf“, stellte Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater jüngst fest. Doch ausruhen, da sind sich Experten ebenfalls einig, sollte sich Europas größte Volkswirtschaft auf dem Erfolg nicht.
„So gut es der deutschen Wirtschaft derzeit geht, viele Schwachstellen sind erkennbar. Nun muss es darum gehen, den volkswirtschaftlichen Glanz in die Zukunft zu tragen“, sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Investitionen seien notwendig: in Straßen, Bildung, schnelles Internet. „Es ist an der Zeit anzupacken und sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen“, mahnt Gitzel.
Tatsächlich wird der positive Trend allmählich unheimlich. Seit 2010 wächst das BIP stetig an. Und von einem Ende des Aufwärtstrends ist nicht die Rede. Das bedeutet auch für den Arbeitsmarkt eine weitere Entspannung. „Etliche 100 000 neue Arbeitsplätze entstehen“, glaubt Kempf.
„Uns gehen die Arbeitskräfte aus“
Dabei suche die Industrie schon jetzt händeringend hochausgebildete Fachkräfte. Das ist auch eine der Wolken, die den heiteren Himmel mittelfristig verdunkeln könnten. Der Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Ferdinand Fichtner, sieht in der alternden Gesellschaft die größte Wachstumsbremse. „Uns gehen in Deutschland die Arbeitskräfte aus“, warnt der Forscher.
Eine Analyse der Bundesagentur für Arbeit aus dem vergangenen Jahr offenbart in vielen Branchen einen eklatanten Fachkräftemangel. 156 Tage dauert es demnach im Schnitt, bis ein Handwerksbetrieb einen Heizungstechniker gefunden hat. Altenund Pflegeheime benötigten gar 167 Tage, bis eine vakante Stelle wieder oder neu besetzt war. Über alle Berufe hinweg lag die Vakanzzeit 2017 bei 100 Tagen – zehn mehr als im Jahr 2016.
„Dieser Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Denn die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften wird weiter hoch bleiben“, erklärt Commerz- bank-Ökonom Krämer. Sein Fazit: „In Deutschland herrscht Hochkonjunktur. Ein Beschäftigungsrekord jagt den nächsten. Aber unter dieser glänzenden Oberfläche erodiert die Wettbewerbsfähigkeit auf breiter Front.“
Das zunehmende Angebot an freien Stellen müsste eigentlich für kräftig steigende Entgelte sorgen. Doch die Lohnsteigerungen des vergangenen Jahres fielen moderat aus. Laut Statistischem Bundesamt erhöhten sich der durchschnittliche Nettolohn 2017 um 2,4 Prozent auf 1892 Euro. Rechnet man die Teuerungsrate aus der Steigerung heraus, verblieb den Arbeitnehmern nur ein reales Lohnplus von 0,6 Prozent. Von der positiven Arbeitsmarktentwicklung könnten die Beschäftigten 2019 noch einmal profitieren. Denn die Bundesarbeitsagentur vermeldet für das vergangene Jahr einen Überschuss von fast sechs Milliarden Euro und hält eine Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung im kommenden Jahr für machbar.
Rekordüberschuss für Staatskasse
Die gute Entwicklung lässt auch die Finanzminister und Kämmerer jubeln. Nach Berechnung des Statistischen Bundesamts nahm der Staat im vergangenen Jahr gut 38 Milliarden Euro mehr ein als er ausgab. Der Überschuss beträgt damit 1,2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Ein Blick auf die letzten beiden Jahrzehnte verdeutlicht die Entspannung bei der Finanzierung öffentlicher Ausgaben. Vor allem in den ersten Jahren des Jahrhunderts musste Deutschland häufiger mehr als drei Prozent des BIP als neue Schulden aufnehmen.
Die Wirtschaft brummt in fast allen Branchen. Im vergangenen Jahr trieb der inländische Konsum das Wachstum an. Mittlerweile investieren die Unternehmen wieder verstärkt in neue Anlagen und Gebäude. Auch der Export bewegt sich auf einem Spitzenniveau. „Die größte Bedrohung für unseren Aufschwung ist das hohe Maß an internationaler Unsicherheit“, sagt BDI-Chef Kempf. In China gewinne die Kommunistische Partei mehr Einfluss auf die Wirtschaft, die USA verschärften den Steuerwettbewerb und tendierten zu Handelsrestriktionen. Dazu kommt noch der Brexit, für den die Wirtschaft eine Übergangszeit fordert, in der alle bisherigen Regeln der EU in Großbritannien weiter gelten.
„Immer mehr Länder suchen die Lösung für globale Herausforderungen in nationalen Rezepten und einem ,Mein Land zuerst’. Für eine internationale Volkswirtschaft wie die unsere, die auf Exporte wie Importe angewiesen ist, ist das brandgefährlich“, mahnte jüngst der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Holger Bingmann.
Angesichts der Risiken plädiert der BDI für eine rasche Regierungsbildung. Die finanziellen Spielräume müsse die neue Regierung für Zukunftsinvestitionen nutzen statt soziale Wohltaten zu verteilen, verlangt der BDI.
„Die deutsche Wirtschaft ist auf dem Weg in die Hochkonjunktur.“