Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Schön bist du, meine Freundin“
Pfarrer Rudolf Hagmann führt in die Schönheiten des Hohelieds im Alten Testament ein
TETTNANG - Die ökumenische Bibelwoche lädt in diesem Jahr dazu ein, Schönheiten in der Bibel zu entdecken, Liebeslieder in einer Deutlichkeit, wie man sie dort wohl nicht erwarten würde. Am ersten Abend hat Pfarrer Rudolf Hagmann von der katholischen St. Gallusgemeinde im evangelischen Gemeindehaus in das „Hohelied der Liebe“aus dem Alten Testament eingeführt.
„Ja, schön bist du, meine Freundin! Du bist so wunderschön... Bis es Tag wird und die Schatten fliehen, will ich hingehen und bei dir ruhen.“In immer neuen Bildern preisen ein junger Mann und eine junge Frau die oder den Geliebten, sprechen von ihrer Sehnsucht und von der Erfüllung, von Liebesschmerz und höchstem Glück.
Ein spannendes, faszinierendes Buch hat Hagmann es genannt, ein biblisches Buch, in dem Gott kein einziges Mal genannt wird und doch in den Lobpreisungen der menschlichen Liebe zur Sprache komme. Dass hier ein junger Mann und eine junge Frau sich nichts sehnlicher wünschen als miteinander zu schlafen, mache erst recht bewusst, dass dieser Gott ganz konkret Mensch geworden sei, dass Gott das menschliche Miteinander, die menschliche Lust als wesentlichen Zug des Menschseins sehe. Keine Weltfremdheit, keine Muffigkeit sei hier zu finden, sondern elementare Lust, eine Bestätigung der Schöpfungsgeschichte. Denn mit dem Satz „Gott sah, dass es gut war“, sei auch die Leiblichkeit gemeint. „Sexualität ist unsere Körpersprache, sie gehört zum Grundverständnis der Beziehungsfähigkeit.“Doch davon sei in der Tradition der Kirche viel verloren gegangen.
Für junge Männer verboten
So habe die Kirche auch von jeher ihre Probleme mit dem Hohelied gehabt, habe es als weltlich anstößig gesehen und Erklärungen gesucht. Junge Männer sollten es nicht vor Dreißig lesen, um keine Lüste zu wecken. Zu lange sei man griechisch dualistisch geprägt gewesen: hier der glanzvolle, edle Geist, da der Körper als niedriges Gefängnis für die edle Seele. Viele hätten unter dieser Sexualfeindlichkeit gelitten. Nur die Mystiker seien zu jeder Zeit vom Ineinander von Leib und Seele und Geist beseelt gewesen. So hätten auch die geistlichen Gesänge des spanischen Karmeliten und Mystikers Juan de la Cruz – Johannes vom Kreuz – eine hocherotische Sprache für die Beziehung zwischen Mensch und Gott.
So wie Hagmann eingangs das Vokalensemble Singapur in starker Intensität die Marien-Motette „Tota pulchra es amica“(Vollkommen schön ist meine Freundin) von Ludwig Senfl, einem Komponisten der Reformationszeit, hören ließ, ließ er zuletzt auch einen Gesang des Mystikers Juan de la Cruz folgen, der in den Satz mündete: „Genießen wir uns, Geliebter.“Vorangegangen waren Gespräche in kleinen Gruppen über ausgewählte Verse des Hohelieds. „Eine spannende Fortsetzungsgeschichte“, sagte Hagmann und lud die rund fünfzig Gäste ein, auch bei den folgenden zwei Abenden dabei zu sein.
Am 22. Januar gestaltet Pfarrerin Martina Kleinknecht-Wagner den Abend zum Thema „Meine Schöne, so komm doch“.
Am 29. Januar folgt die katholische Gemeindereferentin Anna Ruess mit dem Thema „Alles ist Wonne an dir“. Beide Abende finden im evangelischen Gemeindehaus statt und beginnen um 19.30 Uhr.