Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Das närrische Grundnahrungsmittel ist eine runde Sache
Die Fasnet ist gekennzeichnet von zügelloser Naschhaftigkeit - gilt es doch, sich auf die karge Fastenzeit vorzubereiten
Die Geschichte des Krapfens ist eine Geschichte voller Missverständnisse, herrscht doch eine geradezu närrische Unklarheit über die Frage der Urheberschaft des luftigen Hefegebäcks: Die Wiener behaupten, eine gewisse Cäcilie Krapf, Hofratsköchin im 19. Jahrhundert, habe ihn erfunden und er sei nach ihr benannt. Andere historische Quellen nennen einen Berliner Zuckerbäcker, der zu Ehren Friedrichs des Großen im 18. Jahrhundert kanonenkugelartige Gebäckstücke erfunden haben soll. Außerdem kommen für die Urheberschaft des mit Zucker bestäubten Hefegebäcks mit süßer Füllung infrage: die alten Römer. Die US-Amerikaner geben natürlich damit an, dass sie den Krapfen – nichts anderes ist ein Donut – weiterentwickelt und zu internationaler Blüte verholfen hätten. Die US-Variante hat ein Loch in der Mitte und ist damit ein Kringel.
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Legenden zum Ursprung des essbaren Fasnetsklassikers. Fest steht, dass sich der Krapfen solcher Beliebtheit erfreut, dass er es längst von der Saisonware, die er im Südwesten lange Zeit war, zur Ganzjahresköstlichkeit geschafft hat. Ganz gleich, ob er nun Krapfen, Berliner, Donut oder sogar Pfannkuchen heißt.
In der Backstube vom Fidelisbäck in Wangen macht sich über den historischen Hintergrund des Krapfens niemand groß einen Kopf. Wichtig sei für das närrische Grundnahrungsmittel bloß, dass alle Zutaten einen naturbelassenen Zustand aufwiesen. „Eben keine Zusätze oder gar Backmischungen“, sagt Christian Koch, der Produktionsleiter in der Traditionsbäckerei ist. Alte Urkunden bestätigen, dass es in der Paradiesstraße 3 in Wangen bereits 1505 eine Backstube gegeben hat. Wer so lange Zeit zum Üben hatte, der müsste es eigentlich können, oder? Jedenfalls liegt ein schwerer Duft in der heißen Luft der Backstube, ständig angefacht durch siedendes Fett, in dem die Krapfenteiglinge zur Fasnet ohne Unterlass zu schwimmen scheinen.
Im Prinzip handelt es sich bei den Berlinern um eine Mehlspeise, die früher als klassisches Arme-LeuteEssen die Ernährung der breiten Bevölkerung sicherstellte. Die Grundlage dieser Küche: grundsätzlich alles, was billig und reichlich zu haben war, also Mehl, Eier und Schmalz. Die ursprünglichen Fasnetsküchle, die gezogenen Küchle, die „gsterren“Küchle, die Fensterküchle, um nur einige Variationen zu nennen – alle beruhen sie im Prinzip auf diesen Grundzutaten. Im Großen und Ganzen variiert lediglich die Form und das, was es dazu gab. Etwa eingemachtes Obst. Während früher Schweineschmalz zum Ausbacken das gebräuchlichste Fett war, ist es heute überwiegend neutrales Pflanzenöl.
Sanft stupft Bäckergeselle Kevin Wollny eine dicke Metallkanüle in eine frisch gebackene Kugel aus Teig. Dann piepst es kurz, es ploppt und saugt Luft an: Die Pumpe spritzt Himbeer-Johannisbeer-Marmelade in die Teigkugel, und zwar exakt 20 Gramm. Genau 48-mal geht das so nun Schlag auf Schlag. Als wäre der 23-Jährige selbst ein Teil der Maschine, verpasst er allen 48 Teigkugeln in wenigen Sekunden eine Füllung. Anschließend stäubt er Puderzucker darüber. Fertig sind die Berliner.
„Normalerweise backen wir 480 am Tag“, erklärt Christian Koch, der 36-jährige Produktionsleiter beim Fidelisbäck, während er durch die Bäckerei führt. Für diese Menge reiche eine Schicht. „Aber über die Fasnetstage backen wir das Vierfache“, erklärt Koch, „am schmotzigen Donnerstag und Rosenmontag sind es jeden Tag 3500 bis 4000 Berliner.“An den Tagen dazwischen nochmal 1000 Stück täglich. Für diese Mengen wird die Krapfenproduktion auf Dreischichtbetrieb hochgefahren. Der erste Kollege arbeitet etwa von Mitternacht bis acht Uhr in der Früh, die anderen beiden folgen morgens und vormittags, um die Schicht zu beenden. Alle drei riechen am Ende selbst wie frisch frittiert, stehen sie doch stundenlang neben dem brutzelnden Fett mit den schwimmenden Köstlichkeiten. Berliner am laufenden Band.
Diese Personalmenge brauche es unabdingbar dann, wenn der Betrieb Wert auf Qualität lege. „Wir sind eine der wenigen Bäckereien, die kein Fertigmehl im Einsatz haben“, betont Koch. Fertigmehl will heißen: Backmischung. Die Zutaten der Fidelisbäck-Berliner sind nicht geheim, sondern fast schon banal: Mehl, Ei, Zucker, Quellsalz, Malz, Hefe, Butter, Milch und ein sogenannter Vorteig, der zuvor angesetzt wird, der wiederum aus Wasser, Mehl und Hefe besteht. Da aber alles frisch gebacken werde, sei entsprechend viel Personal notwendig.
Inzwischen ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass Berliner aus Backmischungen angerührt, vorgebacken und im Tiefkühler gelagert werden, um dann später in den Ofen zum Aufbacken zu kommen. Wie aber lässt sich ein frischer von einem aufgebackenen Krapfen unterscheiden? Zunächst am Geschmack, der sich bei Frischware durch Natürlichkeit auszeichnet. Mischungen industrieller Krapfen oder deren Backmischungen enthalten oft Aromen, die sie mitunter penetrant nach Vanille schmecken lassen. Außerdem: Der industrielle Krapfen neigt nach zwei bis drei Stunden zu Trockenheit, während die Handwerksbäckerware einen Tag lang flaumig und luftig bleiben sollte.
Aber klassische Berliner sind nicht das einzige Gebäck, das die Wangener Bäckerei zur Fasnet verkauft – ausnahmsweise gibt es an den tollen Tagen auch Berliner mit Vanilleund Schokoladenfüllung. Außerdem Quarkmurmele und Spritzkuchen sowie Apfelschnecken, allesamt aus dem gleichen Berlinerteig gebacken. Für das Fasnetsgebäck sind beim Fidelisbäck übrigens Konditoren zuständig und nicht die etwa 30 Bäckermeister, Gesellen und Azubis, die sich um das Alltagsgeschäft kümmern, das in der fünften Jahreszeit natürlich weiterläuft.
Warum gerade Berliner an der Fasnet so reichlich gegessen werden, das weiß Michael Koch, der seit vier Jahren im Fidelisbäck als Produktionsleiter arbeitet, selbst nicht. Gefragt hat er sich das noch nie und lacht: „Das müsste man mal bei Wikipedia nachgucken.“Womit wir wieder bei der Eingangsfrage wären, wo er eigentlich herkommt, der Berliner, der Krapfen oder der Pfannkuchen. In besagtem Online-Lexikon steht: „Die Bezeichnung Krapfen lässt sich einerseits auf den althochdeutschen Begriff Krapho zurückführen, was ‚Kralle‘ oder ‚Haken‘ bedeutet, da die Krapfen ursprünglich nicht rund waren.“Außerdem wird behauptet,
„Normalerweise backen wir 480 am Tag. Am Rosenmontag sind es bis zu 4000.“Christian Koch vom Fidelisbäck Wangen über den Krapfenausstoß.
dass das Wort Krapfen bereits seit dem neunten Jahrhundert als „hakenförmiges Gebäck“nachgewiesen sei. Dass der Krapfen, wie wir ihn heute kennen, einen Haken hätte, lässt sich allerdings nicht behaupten – außer vielleicht einem: Je nach Füllung kommen die goldbraunen Goldstücke auf bis zu 400 Kalorien. Und damit helfen sie dabei, die Energiereserven noch einmal richtig aufzufüllen. Schließlich beginnt ja am Aschermittwoch wieder die Fastenzeit.
Sehen Sie, wie die vielen Berliner in der Wangener Traditionsbäckerei entstehen, in einer Bildreportage im Internet unter: www.schwäbische.de/fasnetskuechle