Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Seehofer facht Islam-Debatte neu an
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“– Kanzlerin Merkel kritisiert Innenminister
BERLIN - Horst Seehofer (CSU) hat gleich nach seinem Start als Bundesinnenminister mit einer Äußerung zum Islam eine Kontroverse ausgelöst. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten“, hatte der 68-Jährige in einem Interview der „Bild“-Zeitung gesagt.
Der Protest, der dem CSU-Vorsitzenden entgegenschlägt, kommt nicht nur von der Opposition, sondern auch von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Deutschland sei zwar stark vom Christentum und auch jüdisch geprägt, aber inzwischen lebten auch Millionen Muslime hier. „Diese Muslime gehören auch zu Deutschland, und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland, also auch der Islam“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag. Auch die neue Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), erklärte: „Solche Sätze bringen uns nicht weiter.“
Unterstützung kam von der CSU. Markus Söder, am Freitag als Seehofers Nachfolger zu Bayerns Ministerpräsident gewählt, sagte: „Diese Aussage stimmt, ja.“Muslime, die die deutsche Wertebasis akzeptierten, seien fester Bestandteil der Gesellschaft. „Aber der Islam gehört kulturgeschichtlich nicht zu Deutschland.“
BERLIN - Am Tag drei als neuer Bundesinnenminister sorgt CSU-Chef Horst Seehofer schon für mächtig Zoff in der neuen Bundesregierung. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt“, hatte Seehofer in einem Interview gesagt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagiert sofort: Inzwischen lebten vier Millionen Muslime im Land, sagt sie am Freitagmittag auf einer Pressekonferenz. „Und diese Muslime gehören zu Deutschland. Und genauso gehört ihre Religion damit zu Deutschland. Also auch der Islam“, macht die Regierungschefin ihre bekannte Position noch einmal unmissverständlich klar und fügt hinzu: „Wir müssen alles tun, um das Zusammenleben gut zu gestalten zwischen den Religionen.“
Das sieht auch Thomas Strobl (CDU) so, der Innenminister von Baden-Württemberg. „Wie kann man einen so komplizierten Sachverhalt in einen so kurzen Satz pressen?“, fragte Strobl in Stuttgart. „Ich empfinde das nicht als zielführend.“Auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer weist Seehofer in die Schranken. Religionsfreiheit sei im Grundgesetz verankert, „genau, wie auch die Muslime in Deutschland mit ihrem Glauben, dem Islam, zu unserem Land gehören“.
Urheber Christian Wulff
Siebeneinhalb Jahre liegt es zurück, dass der frühere Bundespräsident Christian Wulff am Tag der Deutschen Einheit von der christlich-jüdischen Geschichte sprach und dann hinzufügte: „Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“Es wurde der prägende Satz seiner Amtszeit. Auch damals gab es eine hitzige Debatte, distanzierte sich die CSU von Wulffs Aussage. Nun verschafft sich Seehofer bei seinen Amtsantritt maximale Aufmerksamkeit, indem er die Diskussion erneut befeuert.
Zündelt der CSU-Chef, um die Stammtische zu bedienen, die bayerische Landtagswahl im Herbst fest im Blick? Buhlt der Innen- und Heimatminister um die Stimmen am rechten Rand? Linkspartei und Grüne werfen ihm dies vor. „Ein ‚Heimatminister‘, der es als erste Aufgabe sieht, die Heimat zu spalten, ist fehl am Platze“, findet Grünen-Politiker Trittin. In Baden-Württemberg setze man auf Dialog, nicht auf Ausgrenzung, sagt auch Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne). „Menschen, die in einem Land wie Deutschland leben, bekennen sich zu unterschiedlichen Religionen – oder zu gar keiner. Und alle diese Menschen prägen gemeinsam unser Land.“
Auch in der SPD ist die Entrüstung groß. „Seehofer glaubt wohl, damit im Bayern-Wahlkampf punkten zu können“, schimpft Fraktionschefin Andrea Nahles im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Franziska Giffey (SPD), Bundesfamilienministerin und im neuen Kabinett für Integration zuständig, geht ebenfalls hart mit Seehofer ins Gericht. „Solche Debatten machen mehr positive Bemühungen kaputt, als gute Entwicklungen zu bewirken“, sagte sie. „Das geht vollkommen an der Lebensrealität und den Notwendigkeiten, die wir in den Städten und auf dem Land haben, vorbei.“Giffey war bis zum Mittwoch Bürgermeisterin des Berliner Einwandererbezirks Neukölln.
Die Distanzierung vom Islam könnte zum Bumerang werden. Erinnerungen an 2014 werden wach, als Seehofer bei der Europawahl einen scharfen Anti-Brüssel-Wahlkampf geführt hatte und dafür vom Wähler abgestraft worden war. Die Zahl derer, die sich hinter Seehofer stellen, ist jedenfalls begrenzt. So sagt CDUInnenexperte Patrick Sensburg: „Seehofer hat Recht.“Und Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) freut sich, „dass ein wichtiges Regierungsmitglied Dinge ausspricht, die von der großen Mehrheit des Volkes als selbstverständlich angesehen werden“. Das helfe, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Der CSU-Chef selbst sah inzwischen Erklärungsbedarf. „Natürlich haben wir den Respekt vor anderen Religionsgemeinschaften“, versuchte Horst Seehofer den Eindruck zu widerrufen, er wolle lieber spalten statt integrieren.