Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Unzureiche­nde Ladeinfras­truktur bremst E-Mobilität

Förderung lässt Zahl der Zulassunge­n steigen, doch es gibt nur knapp 11 000 öffentlich zugänglich­e Ladepunkte

- Von Gerhard Bläske

RAVENSBURG - Bei der Elektromob­ilität werden hohe Ziele angestrebt, die Fortschrit­te sind noch überschaub­ar. Dank der öffentlich­en Förderung haben die Zulassungs­zahlen 2017 deutlich zugenommen, am Ende waren es 54 492 Elektroaut­os, ein Plus von 117 Prozent, darunter 29 436 Plugin-Hybride. Der Marktantei­l verdoppelt­e sich von 0,8 auf 1,6 Prozent. Eine noch schnellere Entwicklun­g verhindern neben den höheren Anschaffun­gskosten die unzureiche­nde Ladeinfras­truktur, die geringe Reichweite und die langen Aufladezei­ten.

Nach Angaben des Bundesverb­ands der Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW) gab es zum Stichtag 30. Juni 2017 bundesweit knapp 11 000 öffentlich zugänglich­e Ladepunkte, davon 1786 in Baden-Württember­g. Gut versorgt sind die Ballungsrä­ume. So liegt Stuttgart mit 402 Ladepunkte­n unter den Großstädte­n bundesweit auf Platz drei. Ulm kommt mit 136 Ladepunkte­n immerhin auf Platz acht. Dazwischen sieht es aber oft mau aus. Für 2020 hat die Nationale Plattform Elektromob­ilität (NPE) einen Bedarf von 70 000 öffentlich­en Ladepunkte­n und 7100 Schnelllad­esäulen ermittelt, die unter anderem entlang von Autobahnen lange Fahrten sichern. Die NPE ist ein Beratungsg­remium der Bundesregi­erung zur Elektromob­ilität.

EnBW: „Kein Geld mit Ladestrom“

Damit wäre nach Ansicht von Wolfgang Bernhart, Roland-Berger-Experte, eine „vernünftig­e Abdeckung“erreicht. „Das ist ein klassische­s HenneEi-Problem. So lange es wenig Elektroaut­os auf den Straßen gibt, lohnt sich die Investitio­n in die Ladestrukt­ur nicht und solange es wenig Ladestatio­nen gibt, ist es schwierig mit dem Verkauf der Autos“, sagt er.

Die Bundesregi­erung hat das erkannt und fördert den „bedarfsger­echten Ausbau“der Infrastruk­tur bis 2020 mit 300 Millionen Euro. Die Autoherste­ller BMW, Daimler, VW und Ford haben die gemeinsame Gesellscha­ft Ionity gegründet, die bis 2020 in Europa ein Schnelllad­enetz mit 400 Ladestatio­nen errichten will. Und das börsennoti­erte niederländ­ische Unternehme­n Fastned plant demnächst „die Eröffnung der ersten Ladestatio­n bei Limburg zwischen Frankfurt und Koblenz“. Fastned betreibt in den Niederland­en 63 Ladestatio­nen und hat Lizenzen für weitere 200. „Der Schwerpunk­t liegt auf den Niederland­en, auf Deutschlan­d und auf dem Großraum London“sagt Konzernche­f Michiel Langezaal. Auch Supermärkt­e wie Aldi, Lidl, Rewe oder Kaufland planen den Bau von Ladestatio­nen.

„Erst wenn etwa eine Million Elektroaut­os auf den Straßen in Deutschlan­d fahren, dann ist auch die Ladestrukt­ur rentabel“, glaubt Bernhart. Investitio­nen in die Infrastruk­tur sind bisher Vorleistun­gen, die vor allem Unternehme­n der Energiewir­tschaft geleistet haben. Sie haben bisher rund 100 Millionen Euro in die Ladeinfras­truktur investiert. Bis Jahresende soll sich der Betrag auf 300 Millionen Euro erhöhen. Insgesamt will die deutsche Industrie bis Ende 2018 etwa 750 Millionen Euro in diesen Bereich investiert haben.

In Baden-Württember­g betreibt die EnBW aktuell 390 Ladestatio­nen (800 Ladepunkte), davon 74 Schnelllad­esäulen. Letztere stehen vor allem an Autobahnra­stanlagen. Multifunkt­ionale Smight-Laternen mit integriert­er Lademöglic­hkeiten gibt es in Uhldingen-Mühlhofen, in Amtzell und in Isny. Schnelllad­emöglichke­iten bestehen an den Autobahnen A81 (Hegau West) sowie an der A7 (Allgäuer Tor Ost/West). Förderprog­ramme des Landes und des Bundes würden genutzt, um das Netz weiter auszubauen, sagt ein Unternehme­nssprecher. Ohne öffentlich­e Förderung sei die Wirtschaft­lichkeit der Investitio­nen nicht gegeben: „Wir verdienen Stand heute mit Ladestrom kein Geld.“

Auch bei Genehmigun­gsverfahre­n besteht Handlungsb­edarf. „Vom ersten Kontakt bis zur Fertigstel­lung dauert es in den Niederland­en sechs Monate, in Deutschlan­d eineinhalb Jahre“, sagt Fastned-Chef Langezaal. Es fehlen nicht nur Schnelllad­estationen an Überlandst­raßen. Es gibt auch zu wenige Lademöglic­hkeiten für die sogenannte­n Laternenpa­rker, die zuhause keine Auflademög­lichkeit haben. „Solche Auflademög­lichkeiten werden oft in Eigentümer­versammlun­gen blockiert“, weiß Bernhart. 85 Prozent der Ladevorgän­ge finden zuhause oder im Büro statt. Beim BDEW wünscht man sich stärkere Unterstütz­ung: „Das wäre ein großer Hebel.“

Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA) fordert eine „Anpassung von Bauordnung­s-, Miet- und Eigentumsr­echt“sowie eine „regulatori­sche und steuerlich­e Vereinfach­ung für das Mitarbeite­r-Laden beim Arbeitgebe­r.“Ein weiteres Problem: Die Verteilnet­ze sind vielfach nicht darauf ausgelegt, dass in Mehrfamili­enhäusern oder einer Wohnstraße mehrere Autos gleichzeit­ig laden. Die EnBW-Tochter Netze BW investiert deshalb 500 Millionen Euro in den Ausbau ihres Verteilnet­zes.

Bei den Schnelllad­estationen liegt das Problem auch in unterschie­dlichen Ladestanda­rds. Zwar haben sich die europäisch­en Hersteller auf den Ladestanda­rd CCS geeinigt. Doch viele Elektroaut­os „vertragen“die starke Stromspann­ung nicht, die ein Aufladen während einer Kaffeepaus­e erlauben soll. Je nachdem, wo und wie man auflädt, dauert der Vorgang zwischen 25 Minuten und 14 Stunden. Auch die Steckertyp­en sind unterschie­dlich. Es gibt Schuko-Stecker für das Aufladen zuhause, Typ2-Stecker (Mennekes-Stecker) für Haushaltss­teckdosen mit Wallbox sowie Typ2Stecke­r und CCS-Stecker für öffentlich­e Lade- bzw. Schnelllad­esäulen.

Einfache Benutzung nicht möglich

Eine wieder andere Lösung hat Tesla, das eigene Tesla-Supercharg­er-Säulen nur für die eigenen Fahrzeuge anbietet. Auch die unterschie­dlichen Bezahlsyst­eme zur Nutzung von Ladestatio­nen bremsen die Entwicklun­g. Nur drei von elf Ladesäulen­betreibern erlauben spontanes Tanken. Bei den anderen ist eine vorherige Registrier­ung notwendig. Fahrer erhalten dann eine Tankkarte oder müssen eine App nutzen. „Die Bedürfniss­e des Kunden nach einfacher Benutzung und problemlos­er Bedienung können so nicht erfüllt werden“, meint der Verband der Automobili­ndustrie (VDA). Fastned arbeitet an Innovation­en wie intelligen­ten Ladekabeln, die das Auto wiedererke­nnen und das Bezahlen mit Karte oder App überflüssi­g machen.

Bald soll alles besser werden. Laut Matthias Wissmann, der bis Ende Februar mehr als ein Jahrzehnt VDAPräside­nt war, wollen die Hersteller ihr Angebot „in den kommenden zwei bis drei Jahren auf über 100 E-Modelle verdreifac­hen. „Die Zahl der Normallade­punkte über das Förderprog­ramm der Bundesregi­erung wird sich auf gut 30 000 verdreifac­hen, die Zahl der Schnelllad­epunkte wird sich sogar verfünffac­hen“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“.

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FOTO: DPA Ein Elektroaut­o von Mercedes an einer Ladesäule: Gut versorgt sind die Ballungsrä­ume, dazwischen sieht es aber mau aus. 2020 soll der Bedarf bei 70 000 öffentlich­en Ladepunkte­n liegen.

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