Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Ich wünsche mir eine selbstbestimmte Gesellschaft“
Der Psychiater und Drogenexperte Rainer Holm-Hadulla spricht sich gegen eine Legalisierung von Cannabis aus
RAVENSBURG - Die mögliche Legalisierung von Cannabis ist in aller Munde. Als Beispiel wird gerne Amerika angeführt, manche USStaaten haben den Konsum legalisiert und den Verkauf unter staatliche Kontrolle gestellt. Auch der Psychiater und Psychoanalytiker Rainer Holm-Hadulla plädiert für eine Entkriminalisierung des Gelegenheitskonsums von Cannabis. Er ist aber strikt gegen eine weitere Verbreitung der Droge durch Erleichterung des Zugangs besonders bei Kindern und Jugendlichen. Gleich zu Beginn des Gesprächs mit Dirk Grupe betont er: „Ich gebe keine nur subjektive Meinung ab, sondern eine professionelle Stellungnahme, die mit allgemeinen klini- schen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmt.“Und nicht als Lobbyist. Der Hinweis deshalb, weil die Cannabisdiskussion „dermaßen ideologisiert und vergiftet“sei. Kaum gebe er ein Interview oder trete im Fernsehen auf, werde er ohne Bezug auf seine Aussagen zum verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis sofort als Mitglied einer „Lügenmafia der Prohibitionisten“beschimpft. Zum sachlichen Teil:
Herr Holm-Hadulla, weltweit lockern immer mehr Länder sowie zahlreiche US-Bundestaaten ihre Drogenpolitik und legalisieren Cannabis. Wird es nicht höchste Zeit, dass Deutschland bei dieser Liberalisierung nachzieht?
Es ist bemerkenswert, dass man sich ausgerechnet die USA als Beispiel wählt: Dieses Land ist von einer beispiellosen Drogenepidemie erfasst. Die New York Times berichtet, dass die Anzahl der Todesfälle derzeit ähnlich hoch ist, wie auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie in den 1980er- und 1990er-Jahren. Das Hauptproblem ist die leichte Verfügbarkeit von Drogen und dass der Konsum zur Mainstream-Kultur gehört. Die leichte Verfügbarkeit führt zu einer Steigerung des schädlichen Gebrauchs aller Drogen, angefangen mit Cannabis bis zum Heroin.
Aber ist die frühere Annahme, Cannabis sei der Einstieg zu härteren Drogen, nicht längst überholt?
Das stimmt nicht. Fachverbände haben eindeutige Studien veröffentlicht, nach denen Cannabis in einem hohen Prozentsatz die Primärdroge darstellt. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Cannabiskonsument zu härteren Drogen greift. Aber es wäre schon problematisch, wenn „nur“zehn Prozent auf Amphetamine, Crystal
Meth oder gar Heroin umsteigen.
Auch aus psycholo- gischen Gründen kann Cannabis eine Einstiegsdroge sein: Wenn man früh lernt, seine Stimmungen und Gedanken chemisch zu manipulieren, wird das Verhaltensmuster, sich durch chemische Substanzen zu beeinflussen, neuronal und psychisch verfestigt. Lernen, Denken, Arbeiten, Kultur, Sport, Freundschaften und Liebesbeziehungen sind bessere Wege sich zu verwirklichen.
Die meisten Menschen gehen offenbar verantwortungsvoll mit Cannabis um und leiden auch nicht unter gesundheitlichen Schäden. Weshalb soll dann eine kleine Minderheit, die Probleme hat, stellvertretend für Recht und Regeln beim Umgang mit Cannabis stehen?
Ich persönlich würde den Gelegenheitskonsum bei Erwachsenen auch nicht kriminalisieren. Aber: Diese „kleine Minderheit“mit schweren gesundheitlichen Schäden ist aus ärztlicher Sicht ziemlich groß. Bei einem hohen Prozentsatz der Konsumenten sieht man intellektuelle Leistungseinbußen, Angststörungen, Depressionen und chronische Psychosen. Besonders bei frühem und regelmäßigem Konsum sind Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Störungen der Emotionskontrolle sehr häufig. Körperliche Erkrankungen, Suizide und tödliche Verkehrsunfälle kommen hinzu. Es gibt eine staatliche Gesundheitsfürsorgepflicht. Die schrankenlose Vermarktung unter Verharmlosung oder sogar Leugnung der Risiken und Nebenwirkungen ist aus medizinischer Sicht grob fahrlässig.
Stichwort Risiken: Alkohol soll ein deutlich höheres Suchtpotential besitzen als der Cannabiswirkstoff THC, ist aber legal. Wieso wird hier mit zweierlei Maß gemessen?
Es ist richtig, dass mehr Menschen unter alkoholbedingten Folgeschäden leiden als unter Folgen von Cannabis. Es ist aber auch richtig, dass viel mehr Menschen Alkohol ohne Schäden konsumieren als Cannabis. Man darf das absolute nicht mit dem relativen Risiko verwechseln. Das letztere liegt für Alkohol niedriger, weil die überwiegende Anzahl der Alkoholkonsumenten überhaupt nicht so viel trinkt, dass sie in einen Rauschzustand geraten. Das Rauschtrinken, besonders von Kindern und Jugendlichen, ist aber wahrscheinlich ähnlich gefährlich wie der Cannabiskonsum.
Gleichfalls wird Cannabis heute in der Medizin erfolgreich eingesetzt, was doch für die Pflanze spricht, oder?
Ich befürworte sehr den medizinischen Gebrauch von Cannabis, etwa bei schweren Tumorschmerzen, um nur ein Beispiel zu nennen. Aber warum sollten wir hier nicht die gleichen Qualitätskriterien anwenden wie bei allen anderen Medikamenten mit Hinweis auf Risiken und Nebenwirkungen sowie einer Verschreibungspflicht.
Über
eine Legalisierung ohne Verschreibungspflicht würden aber illegale Märkte ausgetrocknet, junge Erwachsene müssten nicht in Kontakt treten mit Dealern. Ist das nicht auch eine Art „Gesundheitsfaktor“, der die Konsumenten vor negativen Einflüssen schützt?
Das Gegenteil ist der Fall. Dealer gehen ja nicht einfach nach Hause und auch Drogenkartelle lösen sich nicht auf, wenn sie kein Cannabis mehr verkaufen können. Der freie Handel führt zu einer massiven Produktion und Verbreitung von wesentlich gefährlicheren Drogen und neuen psychoaktiven Substanzen. Besonders in den USA sehen wir einen sehr „dynamischen Markt“, der zu vielen individuellen Tragödien führt.
Aber geht es am Ende dieser Debatte von Befürwortern und Gegnern einer Legalisierung nicht auch um ein Bild von unserer Gesellschaft?
Mag sein. Ich persönlich wünsche mir auf jeden Fall eine selbstbestimmte und kreative Gesellschaft – und keine chemisch manipulierte.
Die genau Rechtslage in Deutschland sowie Pround Contra-Argumente einer Legalisierung unter: www.schwaebische.de/cannabis