Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Ein zu Unrecht vergessener Maler
Das Kunstmuseum Hohenkarpfen erinnert an den Künstler Albert Weisgerber
HAUSEN OB VERENA - Große Namen haben seinen Weg begleitet; er selber ist ein großer Unbekannter geblieben. Und das durchaus unverdient. Das Kunstmuseum Hohenkarpfen (Landkreis Tuttlingen) widmet erstmals dem Maler Albert Weisgerber eine Ausstellung.
Albert – wer? 1878 geboren, stammt Albert Weisgerber aus St. Ingbert, heute Saarland, damals bayerische Pfalz. An der Münchner Kunstakademie wird er Meisterschüler von Franz von Stuck, ist mit einem gewissen Theodor Heuss (dessen Porträt auf dem Hohenkarpfen zu sehen ist) befreundet, mit Hans Purrmann bekannt, Kommilitone von Klee, Kandinsky, Slevogt. Studienreisen führen ihn nach Rom, Pompeji, nach Venedig und Paris, wo er Matisse kennenlernt, die großen Sammlungen aufsucht, schaut, lernt, Einflüsse in sich aufsaugt.
In der bayerischen Hauptstadt ist Weisgerber Teil der „Szene“, die München leuchten lässt. Hier lernt er die jüdische Malerin Margarethe Pohl kennen und lieben, heiratet sie 1907. Und er malt und malt, auf Malsommern in Oberbayern oder in der Lüneburger Heide, er ermalt sich Anerkennung und Erfolg. Weisgerber kuratiert, als ihr erster Präsident, die erste Ausstellung der Neuen Münchner Secession; da ist es schon der heiße Herbst 1914.
Im Mai 1915 stirbt er elend bei Ypern an der Westfront. Man findet ihn in einem Granattrichter, in der Uniformtasche Goethes „Faust“. Ein Regimentskamerad überlebt als verhinderter Maler: Adolf Hitler. Doch während Mitstreiter wie Macke und Marc, die ebenso im Krieg fallen, zu Klassikern werden, versinkt Albert Weisgerber in Vergessenheit.
Umfassende Werkschau
Der Großteil seines Werks ist heute im Besitz seiner Heimatstadt, die die rund 400 Bilder und weitere Werke in eine Stiftung überführt hat. Seit Jahren ist in St. Ingbert ein Weisgerber-Museum geplant, das aber aus finanziellen und anderen Gründen bis heute nicht realisiert worden ist. St. Ingberts Pech ist ein Glück für die Kunststiftung Hohenkarpfen – sie kann auf viele Werke aus dem saarländischen Depot zurückgreifen und so eine veritable Werkschau zusammenstellen. Überwiegend sind es Ölbilder aus allen Schaffensperioden; allerdings vernachlässigt sie ein paar Aspekte, was aber bei einem stilistisch heterogenen Werk und einem kleinen Museum wohl nicht anders machbar ist. So fehlen leider Weisgerbers Karikaturen.
Sonst aber stellt die Ausstellung „Landschaft und Figurenbild“einen Maler vor, der ein Bindeglied zwischen dem späten Impressionismus und dem heraufziehenden Expressionismus ist. In manchen zumal frühen Werken erkennt man die Vorbilder wie Manet oder Cézanne, von denen er sich später aber zu lösen vermag. Immer wieder tauchen (Selbst-)Porträts auf, immer wieder pastorale Landschaften, ergänzt um ein paar Bilder von Weggefährten.
Schon die frühen Werke zeigen eine sichere Hand, eigene Ideen und ein Gespür für Proportionen und Farben – zum Beispiel jener „Schnitter“, der breitbeinig und aufrecht, die Sense in beiden Händen, fast lebensgroß vor einem Getreidefeld steht und dessen Gesicht so merkwürdig streng-verschattet ist. Oder jenes große Bildnis der Sängerin „Miss Robinson“, das Manets „Olympia“zitiert. Der MeToo-Debatte könnte er sich locker stellen, denn er bringt nackte Jünglinge wie Frauenakte gleichermaßen auf die Leinwand.
Auf Selbstporträts schaut er ernst, aber auch selbstbewusst, obwohl er beim Malen einer war, der zweifelt, der die Leinwand ständig überarbeitet, übermalt, Motive umstellt. Der Gast auf dem Hohenkarpfen erkennt: Hier ist ein Wegbereiter der Moderne bei der Arbeit, der aber auch kraftvoll für sich steht – und der zu Unrecht vergessen ist.