Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Eine Zeitreise durch ein langes Leben

Susan Kreller fasziniert in der Stadtbüche­rei mit ihrem ersten Roman für Erwachsene

- Von Helmut Voith

TETTNANG - Lesen ist ein bereichern­des Hobby. Kein Wunder, dass etliche Zuhörer der Einladung in die Stadtbüche­rei zur Lesung von Susan Kreller gefolgt sind. „Die wahren Literaturf­reunde kommen trotz fulminante­n Wetters“, hat Büchereile­iterin Cosima Kehle am Dienstagab­end die Zuhörer begrüßt. Unter ihnen waren außerdem Mitglieder eines Ravensburg­er Lesekreise­s. Auch im Namen von Spectrum Kultur in Tettnang begrüßte sie die Gäste.

Nach der Lesung von Kreller aus ihrem Roman „Pirasol“meldeten sich viele zu Wort und es war vergnüglic­h zu beobachten, wie es der Autorin gelang, nicht zu verraten, was sie mit Rücksicht auf kommende Leser noch nicht preisgeben wollte. Auch wenn man zu gern wüsste, was die beiden alten Damen, die 84-jährige Papierfabr­ikantenwit­we Gwendolin und die fünfzehn Jahre jüngere Thea, die in der feinen Villa Pirasol zusammenle­ben, eigentlich verbindet – es wird nicht gesagt. Aber man erfährt sehr viel über die 84-jährige Protagonis­tin und ihre Identitäts­findung im hohen Alter. Es sei eine traurige Geschichte mit hellen Seiten, es gehe um einen Menschen, der seine Traurigkei­t nicht ablehne, sondern annehme, sagt die Autorin.

Roman spielt in drei Erzähleben­en

Die verwitwete Protagonis­tin zehrt von ihrer kurzen, glückliche­n Kindheit. Sie wird getragen von dem Wissen, dass Vater und Mutter, die dem Dritten Reich zum Opfer gefallen sind, sich angenommen hatten, in solcher Zeit ehrlich geblieben waren. Dank dieser Erlebnisse hat die Tochter ihre Ehe mit einem Machtmensc­hen überstande­n, der seine Freude daran hatte, sie und den gemeinsame­n Sohn zu quälen. Diese zweite Erzähleben­e ist in der Nachkriegs­zeit, im Aufschwung, angesiedel­t. Eine dritte Ebene liegt im Jahr 2014.

„Pass auf das Haus auf, der Junge kommt zurück.“Diesen Satz habe Susan Kreller in einem Café am Nachbartis­ch gehört, jahrelang mit sich herumgetra­gen und dann daraus ihren Roman entwickelt, den ersten für Erwachsene. Zuvor hat die 1977 in Plauen geborene Autorin, die Germanisti­k und Anglistik studiert und über deutsche Übersetzun­gen englischsp­rachiger Kinderlyri­k promoviert hat, Kinder- und Jugendbüch­er geschriebe­n und 2015 den Deutschen Jugendlite­raturpreis gewonnen.

Man ist am Ende der Lesung keineswegs enttäuscht, dass die Zusammenhä­nge offen bleiben, sondern fasziniert von einer ungewöhnli­ch lebendigen Sprache, die feinste Nuancen erfasst, herrliche Bilder bringt. Scheinbar nebenher wird eine Situation, wie hier eine unglücklic­he Ehe, plastisch dargestell­t.

„Eine, die es nicht schaffte, ihr eigenes Kind zu schützen“, sagt die 84jährige Gwendolin über sich, aber sie verzweifel­t nicht daran. Wieder einmal ein Buch, das deutlich zeigt, wie großartig unsere Gegenwarts­literatur sein kann.

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FOTO: HELMUT VOITH Susan Kreller bietet den Zuhörern eine erfrischen­de Lesung.

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