Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Debatte um Model-Castingshow
Heidi Klums Model-Castingshow polarisiert – und hat hohe Einschaltquoten
RAVENSBURG (dre) - Harmlose Fernsehunterhaltung oder bedenkliche Menschen-Dressur? Die Castingsendung „Germany’s Next Topmodel“(GNTM) ist umstritten, auch nach dem Ende der 13. Staffel, die das Stuttgarter Model Oluwatoniloba Dreher-Adenuga gewonnen hat. Im Netz wird debattiert – und auch innerhalb der Redaktion gehen die Meinungen auseinander.
Heidi Klums Segen hat GNTMGewinnerin Toni – und himmlischen Beistand obendrein. „Wir feiern Jesus in ihrem Leben. Halleluja!“war am Freitag auf der Internetseite der „Body Of Christ Church“zu lesen. Zu dieser Stuttgarter Freikirche gehört Oluwatoniloba Dreher-Adenuga, so der volle Name der diesjährigen Siegerin von „Germany’s Next Top Model“. „Ich danke dem Herrn“, hatte die junge Frau mit nigerianischen Wurzeln unter Tränen nach dem Sieg in der 13. Staffel der Model-Castingshow von ProSieben gesagt. Mit ihrer Familie geht sie jeden Sonntag zum Gottesdienst. Nach dem Finale in Düsseldorf kündigte die 18-Jährige an, der Freikirche einen Teil ihrer 100 000-Euro-Siegprämie zu spenden.
Doch nicht alle Reaktionen im Netz waren positiv. Neben unsäglichen rassistischen Kommentaren gab es auch eine berechtigte Grundsatzdebatte über das Castingformat, das dieses Jahr bereits in die 13. Auflage ging. Während Kritiker der Sendung das vermittelte Frauenbild anprangern, argumentieren Fans des Formats, es werde ja niemand zum Mitmachen gezwungen. ProSieben gratulierte sich derweil selbst zum Quotenerfolg: „Natürlich war GNTM Marktführer. Danke. Hach.“, twitterte der Sender. Im Schnitt verfolgten 2,64 Millionen Zuschauer die Show, der Marktanteil lag bei gut zehn Prozent. Im vergangenen Jahr waren es knapp neun Prozent gewesen. Bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern
Was ich von Heidi Klum und ihrer schmerzfreien Selbstdarstellung halte? Unsäglich. Und GNTM, das bestimmt wird durch Intrigen, Kreischalarm und Floskeln wie: „Heute habe ich leider kein Foto für dich“? Auch unsäglich.
Nun wird dem Format und seiner Moderatorin allerdings unterstellt, sie würden sexuelle Übergriffe (Stichwort #MeToo) fördern, ein falsches Frauenbild vermitteln und Bulimie Vorschub leisten.
Um mit einer Phrase zu antworten: Leute, bitte lasst die Kirche im Dorf und reagiert nicht so hysterisch wie Heidis Mädels.
Natürlich können die teils 16-, 17oder 18-Jährigen nicht das Bild einer reifen und selbstbewussten Frau verkörpern. Und natürlich hat GNTM mit dem richtigen Leben so wenig zu tun wie „Bauer sucht Frau“mit der lag der Marktanteil diesmal sogar bei 21,1 Prozent, ProSieben zufolge der beste Wert seit 2013.
Kandidatin Klaudia Giez nutzte ihre Dankesrede für den „Personality Award“, den sie im Finale als Trostpreis bekam, für Kritik an der Sendung: „Das Leben ist nicht immer positiv. Sorry Heidi. Wir sollten aufhören,
Landwirtschaft. Es handelt sich hier um ein Fernsehformat, dem eine Macht nachgesagt wird, die es nicht hat. Andernfalls müsste man allen Teenagerinnen unterstellen, sie seien komplett verblödet und folgen Mama Klum blind in den Abgrund. Eltern wissen aber: Dem ist nicht so, im Gegenteil.
Vielmehr gilt, was auch für Videospiele und anderes gilt: Wächst ein Kind in einem negativen Umfeld auf, ist es auch empfänglich für negative Einflüsse. Wenn nicht, besteht auch kaum Gefahr. Und Verbote helfen sowieso nicht, die braucht es auch nicht: GNTM wird sich gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen müssen. Andernfalls stirbt die Sendung ganz von allein. ständig an uns zu zweifeln und uns kleinzumachen“, sagte die 18Jährige – und wurde prompt von der gestrengen Model-Drillmeisterin Klum unterbrochen. Sie hätten bedauerlicherweise nur drei Stunden Zeit, nicht vier: „Ich muss dich abwürgen.“Die vielen Werbepausen waren wohl wichtiger.
Auch wenn sich Millionen Fernsehzuschauer davon belustigen lassen: GNTM ist ein Format, dessen Zeit abgelaufen ist.
Mit dem „Girls’ Day“wird versucht, Frauen in immer noch männlich dominierte Berufsfelder zu holen. Es gibt Programme, mit denen junge Mädchen für MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurwissenschaften und Technik) begeistert werden sollen. Aber wenn man
Heidi Klum fragt, ist das Erstrebenswerteste für eine Frau anscheinend, als willenloser Kleiderständer zu leben, der schön aussehen und sich unterordnen soll. Das fängt schon beim „Umstyling“an, das zeigt: Du darfst alles sein, nur nicht Du selber. Man fragt sich, warum junge Frauen so etwas auf sich nehmen und sich derartig verbiegen lassen. Wer die Sendung
„Germany’s Next Topmodel“ist seit Jahren mit heftiger Kritik von Medienwächtern und Feministinnen konfrontiert. Immer wieder geht es dabei um das Schönheitsideal und das Frauenbild, das die Sendung vermittelt und um den mutmaßlichen Einfluss auf Essstörungen bei jungen Frauen.
„Bitte keine Hysterie.“
„Die Zeit ist abgelaufen.“Daniel Drescher findet GNTM unfassbar schlecht
in Schutz nimmt, argumentiert gern, dass die Kandidatinnen wissen, worauf sie sich einlassen. Mag sein. Aber dass Menschen aus der Motivation heraus, berühmt zu werden, die unsinnigsten Dinge tun, zeigen ja auch Castingshows wie „DSDS“, die mit musikalischer oder künstlerischer Substanz nichts zu tun haben – dafür aber viel mit Vorführen und Demütigen.
Ob die Sendung nun tatsächlich der Magersucht Vorschub leistet, wie eine Studie 2015 herausgefunden haben will, ist gar nicht entscheidend. So oder so – als Fernsehunterhaltung getarnte Menschen-Dressur wie GNTM braucht wirklich niemand. Zeit, den Stecker zu ziehen.