Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Frauen beim Blutritt: „Nicht die Lösung des Nachwuchsproblems“
Zahl der Reiter auf niedrigstem Stand seit 35 Jahren – Interne Diskussionen bei der Blutfreitagsgemeinschaft
WEINGARTEN - Der Weingartener Blutritt hat ein Nachwuchsproblem. Bei der diesjährigen Veranstaltung ritten so wenige Gläubige mit wie seit knapp 35 Jahren nicht mehr. Gerade einmal 2203 Reiter waren es noch. Das haben auch die Verantwortlichen erkannt. Die große Frage ist allerdings, wie dieses Problem gelöst werden soll. Automatisch denkt man sofort daran, den Blutritt für Frauen zu öffnen. Doch auch wenn das nach eigener Aussage für die Weingartener Blutfreitagsgemeinschaft grundsätzlich kein Problem wäre, stellt sich ihnen diese Frage nicht.
Frauen beim Blutritt? Schon allein die Frage zu stellen, löst bei einigen Unbehagen aus. Schließlich ist Europas größte Reiterprozession traditionell eine reine Männerwallfahrt. Bis auf Ministrantinnen dürfen keine Frauen zu Pferd an der Prozession teilnehmen, und die auch nur bis zu einem bestimmten Alter. Für manche ist das in der heutigen Zeit schwer nachzuvollziehen, der Blutritt gilt ihnen als archaische Veranstaltung, bei der Frauen diskriminiert werden.
Christoph Sprißler, erster Vorsitzender der Blutfreitagsgemeinschaft, deren Bestehen sich dieses Jahr zum 50. Mal jährt, ist die Diskussion nicht fremd. Auch innerhalb der Blutfreitagsgemeinschaft werde darüber gesprochen. Seit zehn Jahren ist er im Amt und er sagt, es sei nicht auszuschließen, dass Frauen irgendwann einmal am Blutritt teilnehmen werden. Damit schließt er sich der Aussage von Heilig-Blut-Reiter und Dekan Ekkehard Schmid an. Der hatte in einem Interview mit der Schwäbischen Zeitung die Teilnahme von Frauen beim Blutritt im Mai erstmals nicht kategorisch ausgeschlossen. Es käme schließlich auf den Glauben und die Haltung zum Blutritt an und nicht, ob man eine Frau oder ein Mann ist. Letzteres sei „Quatsch“, so Schmid wörtlich. Innerhalb des Kirchengemeinderats werde die Frage immer wieder diskutiert, sagte der Dekan, insbesondere dann, wenn es um Ministrantinnen geht. Aber eine ernsthafte Forderung, den Blutritt für Frauen zu öffnen, gebe es intern nicht.
Prozession als Gebet erhalten
Das weiß auch Sprißler für die Blutfreitagsgemeinschaft zu berichten. Bislang sei einfach noch keine Notwendigkeit gesehen worden, die jahrhundertealte Tradition aufzubrechen. Auch nicht, um neuen Nachwuchs zu generieren und so dem Reiterschwund entgegenzuwirken. Vielmehr beschäftigt sich die Gemeinschaft mit den Ursachen für den Rückgang. „Die PferdeBeschaffung ist heute nach wie vor ein Problem“, sagt Sprißler. Für die Blutreitergruppe Weingarten plus Stadtgarde müssen zwischen 70 und 80 Pferde bereitstehen.
Doch den entscheidenden Faktor sehen die Verantwortlichen vielmehr auf spiritueller Ebene. Schließlich ist das Ziel der Gemeinschaft, das Heilige Blut zu verehren und den Blutfreitag zu gestalten und erhalten. Auch geht es um die Verantwortung, den Blutritt von Generation zu Generation mit inneren Werten zu füllen und damit seine Ausstrahlung zu bewahren. Kurz gesagt, den religiösen Charakter zu erhalten, die Prozession als Gebet weiterzutragen. Diese Qualität des Blutritts ist für Sprißler wichtiger als die Anzahl der Reiter, sprich die Quantität.
Und diese Qualität scheint das Problem zu sein. Dekan Schmid hatte sich im Vorfeld des diesjährigen Blutritts mit deutlichen Worten an die Blutreiter gewandt, den Charakter des öffentlichen Gottesdiensts zu pflegen, besonders draußen auf dem Ösch habe Ruhe zu herrschen. Denn die Blutreiter seien es, die den Blutritt als öffentlichen Gottesdienst transportieren müssen. Und da hilft es aus Sicht von Sprißler wenig, wenn sich der Blutritt für Frauen öffnet. „Das ist nicht die Lösung des Nachwuchsproblems“, sagt er. Vielmehr gehe es darum, die christliche Überzeugung zum Ausdruck zu bringen und dafür in der Öffentlichkeit geradezustehen. Um dies bei den Blutreitern zu unterstützen, hat man in den Gruppen Weingarten und Ravensburg in diesem Jahr erstmals auf Technik zurückgegriffen. Alle Reiter waren mit Headsets ausgestattet. Ein Vorbeter sprach das Gebet, sodass sich der Reiter ganz darauf konzentrieren konnte.
Doch auch damit wird man den Reiterschwund nicht komplett auffangen können. Das weiß auch Sprißler, der die Blutreiterfamilien in besonderem Maße in der Verantwortung sieht, Nachwuchsarbeit zu leisten. 800 Mitglieder zählt die Gemeinschaft zurzeit. Die Hälfte davon sind Frauen, die nach Aussage von Sprißler selbst recht wenig Interesse an der Aufhebung des unausgesprochenen Verbotes hätten. „Das ist kein großes Thema“, sagt er.
Im Übrigen ist es nicht das erste Mal, dass der Blutfreitag unter einem Rückgang an Reitern leidet. Schon in den 1960er-Jahren war die Zahl konstant rückläufig. Immer weniger Pferde kamen als Zugtiere zum Einsatz, die Pferdehaltung in einem zunehmend städtisch geprägten Weingarten verschwand fast völlig, sodass sich die Anzahl fast zwangsläufig reduzierte. Da man um den Fortbestand des Blutritts fürchtete, gründete man im Jahr 1968 die Blutfreitagsgemeinschaft. Und die feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen.