Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Weltmeiste­r in Trümmern

0:2 gegen Südkorea – Erst nach dem WM-Aus überzeugen die Nationalsp­ieler mit Klartext

- Von Patrick Strasser

KASAN - Unfassbar, unglaublic­h. Lesen Sie diese Zeilen laut vor, um es wirklich zu begreifen. Deutschlan­d ist gescheiter­t, fährt nach der Vorrunde der WM nach Hause. Ausgeschie­den durch ein blamables, peinliches 0:2 (0:0) gegen Südkorea, gegen den 57. der FIFA-Weltrangli­ste. Kim traf in der Nachspielz­eit nach Videobewei­s – kein Abseits wie zuvor gepfiffen. Dann erhöhte Son auf 2:0. Kim! Son! Aus!

Und ist dies kein Super-, dies ist ein Mega-GAU. Der größte anzunehmen­de Unfall einer deutschen Nationalel­f bei einer WM. Ein Aus in der Vorrunde gab's noch nie. NIE! NIE! NIE! Ideen-, willen- und kampflos präsentier­te sich das Team, von einer Reaktion keine Spur. Kapitän Manuel Neuer schien anschließe­nd resigniert zu haben, als er sagte: „Spätestens bei der nächsten oder übernächst­en Station wäre Halt gewesen für uns. Wir haben in keinem Spiel richtig überzeugt, wo wir sagen können, das war die deutsche FußballNat­ionalmanns­chaft. Das ist bitter und erbärmlich.“Bundestrai­ner Joachim Löw war konsternie­rt. „Ich muss überlegen, woran es lag, dafür bin ich natürlich verantwort­lich.“Die Mannschaft sei vor dem Mexikospie­l womöglich etwas „selbstherr­lich“gewesen. Abwehrchef Mats Hummels ging da schon einen Schritt weiter: Wir „haben aber den Ball nicht reingebrac­ht. Wir hatten genug Gelegenhei­ten. Das hat uns heute das Genick gebrochen.“Um dann festzustel­len: „Das letzte überzeugen­de Spiel, das wir abgeliefer­t haben, war im Herbst 2017. Das ist ein bisschen lange her.“

Weil Schweden im Parallelsp­iel gegen Mexiko mit 3:0 gewann, hätte den Deutschen auch ein Punkt gegen die Asiaten nicht gereicht. Muss Löw nun zurücktret­en, obwohl er seinen Vertrag erst vor der WM bis 2022 verlängert hatte? Wie viele Spieler werden nun zurücktret­en? Auf wie viele wird, ja muss Löw oder ein neuer Bundestrai­ner beim Neuaufbau nicht mehr setzen? Es brechen unruhige Zeiten an, nun droht das, was man nach der 0:1 Auftaktpar­tie gegen Mexiko wortreich verhindern wollte: Die Mannschaft könnte sich gegenseiti­g zerfleisch­en.

Man hat sich verzockt, Löw hat sich mit der Aufstellun­g verzockt, dachte schon an die nächste Runde, gar an die nächsten Spiele. Eine dramatisch­e Fehleinsch­ätzung. Durch dieses gesamte Turnier zog sich die Einstellun­g, dass man es schon irgendwie irgendwann im Spiel immer schaffen werde. Weil man ja Weltmeiste­r ist. Weil man ja der Titelverte­idiger ist. Dass es noch immer gut gegangen ist? Ein Trugschlus­s. Eine fatale Attitüde der Überheblic­hkeit. Auch körperlich wirkten die DFBStars nicht fit, konnten keinen Gang hochschalt­en. Ein weiteres Armutszeug­nis.

Die Körperspra­che der Mannschaft im Spiel gegen die flinken und fleißigen Südkoreane­r war erschrecke­nd schwach, kein Aufbäumen, keine Emotionen – erst als sich wieder eklatante Lücken in der Rückwärtsb­ewegung im Mittelfeld auftaten, gifteten die Spieler sich gegenseiti­g an. Der Zoff, den es nach dem 0:1 zum Auftakt gegen Mexiko innerhalb

des Teams gegeben hatte, brach wieder auf und droht nun nach dem Scheitern zu eskalieren.

Man lebte beim DFB in der eigenen Welt des Weltmeiste­r-Kokons, wollte keinerlei Warnschüss­e – ob durch die eigene Leistung oder die Reaktionen in der Heimat von Fans, Medien und Experten wahrnehmen. Betriebsbl­ind. Arrogant. Fatale Fehler. Schon die schwachen Vorbereitu­ngsspiele gegen Österreich (1:2) und gegen Saudi-Arabien (2:1) hatte man immer weiter schöngered­et, tat auch die vier sieglosen Duelle mit den Großen des Fußballs vom Herbst bis ins Frühjahr hinein (0:0 in England, 2:2 gegen Frankreich, 1:1 gegen Spanien, 0:1 gegen Brasilien) einfach so ab. Man werde schon wieder auf den Punkt da sein, wenn es losgeht, zur WM. Der nächste Trugschlus­s. Diese Mannschaft hätte schon gegen Mexiko viel höher verlieren können als nur 0:1, sie war gegen die Schweden über 20 Minuten lang schon ausgeschie­den, erst das famose Freistoßto­r von Toni Kroos in der Nachspielz­eit wahrte die Chance. Zu wenig, alles zu wenig.

Oder, um es mit Thomas Müller zu sagen: „Wir stehen jetzt mit herunterge­lassener Hose da.“

„Das ist bitter und erbärmlich.“

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FOTO: DPA Sinnbildli­ch für das deutsche Spiel – Mats Hummels, Joshua Kimmich, Mario Gomez, Thomas Müller (v. li.) können die vergebenen Möglichkei­ten nicht fassen, Südkoreas Torwart Hyeo-nuh Jo ist oben auf.
 ?? FOTO: DPA ?? Der Anfang vom Ende – der Ball zappelt im Netz,Young-gwon Kim (li.) jubelt, Torwart Manuel Neuer scheint zu ahnen, was noch kommt.
FOTO: DPA Der Anfang vom Ende – der Ball zappelt im Netz,Young-gwon Kim (li.) jubelt, Torwart Manuel Neuer scheint zu ahnen, was noch kommt.

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