Schwäbische Zeitung (Tettnang)
„Das geht alles ohne zusätzliche Überwachung“
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser stellt seine Vorschläge vor, um Deutschland besser vor Terroranschlägen zu schützen
RAVENSBURG - Der Weingartener Benjamin Strasser ist seit vergangenem Jahr FDP-Bundestagsabgeordneter. Mit Sebastian Heinrich und Claudia Kling spricht er über grenzwertige Polizeieinsätze, über eine Reform der Sicherheitsdienste – und die Vorratsdatenspeicherung.
Herr Strasser, Ihr politischer Schwerpunkt ist die Innere Sicherheit. Dieser Tage haben wir in Stuttgart und in Dresden zwei Polizeieinsätze erlebt, bei denen Polizeibeamte sich zumindest grenzwertig gegenüber Journalisten verhalten haben. Hat die Polizei in Deutschland hier ein Problem?
In gewissen Teilen ja, aber sicher nicht die gesamte Polizei. Wir als FDP haben das Verhalten der sächsischen Polizei in Dresden deutlich kritisiert. Wenn jemand in seiner Freizeit als Staatsbediensteter sich bei einer Organisation wie Pegida betätigt, die ein problematisches Verhältnis zum Grundgesetz haben, dann kritisieren wir das. Keine Frage.
Sie sind seit einem knappen Jahr im Bundestag. Seither haben Sie sich intensiv mit der Terrorabwehr beschäftigt, vor allem mit den Verfassungsschutzbehörden. Sie sitzen im Untersuchungsausschuss zum Fall Anis Amri, zu den Fehlern vor dem Attentat am Berliner Breitscheidplatz. Was hat Sie am meisten gestört am Zustand der deutschen Sicherheitsarchitektur?
Dass es keine klaren Verantwortlichkeiten gibt. Ein Beispiel ist das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ). Das ist nicht einmal eine eigene Behörde, sondern eine Art von Kaffeeklatsch der Sicherheitsbehörden. Die entscheiden dann, welche Informationen sie den Kollegen weitergeben und welche nicht – und was sie mit den Informationen machen.
Wie sollte eine Reform der Sicherheitsdienste aussehen? Sollte der Bund alleine zuständig sein für die Terrorabwehr?
Da bin ich skeptisch. Am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sieht man, dass Zentralisierung allein nicht die Probleme löst. Wir müssen uns aber überlegen, manche der Landesämter für Verfassungsschutz, zumindest die kleineren, zusammenzulegen. Das Landesamt für Verfassungsschutz in Bremen hat 49 Vollzeitstellen. Und mit diesen 49 Stellen soll das Amt die gleichen Aufgaben erfüllen wie das Landesamt für Baden-Württemberg, das 350 Mitarbeiter hat. Das kann so nicht funktionieren. Eine Möglichkeit wäre, über Staatsverträge bestimmte Aufgaben zu übertragen. Das Bremer Amt hat es mit einer starken islamistischen Szene zu tun. Darauf könnte sich das Amt spezialisieren – und die Aufgabe auch für Niedersachsen übernehmen. Während das Amt in Niedersachsen andere Bereiche für Bremen mit übernimmt.
Was würden Sie als Sicherheitspolitiker der FDP tun, um dieses Land besser vor Terroranschlägen zu schützen? Was wären Ihre ersten drei Vorschläge?
Erstens: Klare Verantwortlichkeiten schaffen, über eine Reform des GTAZ. Zweitens: Wir brauchen mehr Personal, das hat man in den Ländern lange verschlafen. Und drittens brauchen wir eine bessere technische Ausstattung – Digitalfunk, digitale Fahndungsmethoden, einen polizeiinternen Messenger-Dienst. Auch der langsame Breitbandausbau ist in den Polizeiwachen natürlich ein Problem, wir brauchen schnelleres Internet auf den Polizeirevieren. Das geht alles ohne zusätzliche Überwachung, sondern nur mit normalem Handwerkszeug für Polizisten.
Wie wollen Sie im digitalen Zeitalter den Terrorismus wirklich bekämpfen, wenn den Sicherheitsbehörden keine Vorratsdatenspeicherung erlaubt ist?
Die Studien, die es bisher gibt, sagen, dass die Vorratsdatenspeicherung einen verschwindend geringen Beitrag zur Terrorbekämpfung leistet. In Frankreich gab es Vorratsdatenspeicherung – und die hat die Terroranschläge von Paris und Nizza nicht verhindert. Wenn wir morgen Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Telegram überwachen, suchen sich Terroristen eben andere Möglichkeiten. Das sind ja keine Hinterwäldler: Der Berlin-Attentäter Anis Amri hatte zwölf SIM-Karten, weil er genau wusste, er wird beobachtet. Wir sind sehr skeptisch gegenüber Maßnahmen, die unbescholtene Bürger unter Generalverdacht stellen – und die auch missbraucht werden können. Außerdem sind solche staatlichen Datensammlungen auch HackingAngriffen ausgesetzt. Was mich stört, ist, dass nach jedem Terroranschlag sofort nach mehr Überwachung gerufen wird – obwohl wir etwa im Fall Amri wissen: Die Behörden hatten die Instrumente und die Informationen. Sie haben sie nur nicht genützt und verwertet.
Sehen Sie Benjamin Strasser auch im Videointerview im Internet unter www.schwäbische.de/strasser