Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Heikle Spekulationen ohne Beleg
Verfassungsschutzchef bezweifelt Echtheit von Chemnitz-Videos – Ablösung gefordert
BERLIN - Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat mit Äußerungen zu den Vorgängen in Chemnitz für Fassungslosigkeit bei SPD, FDP, Grünen, Linken und auch Teilen der CDU gesorgt. Es lägen ihm keine belastbaren Informationen darüber vor, dass Hetzjagden in Chemnitz stattgefunden hätten, sagte Maaßen der „Bild“-Zeitung. Er zweifelte dabei auch die Echtheit entsprechender Videoaufnahmen an: „Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.“
„Ich würde gern wissen, woher Herr Maaßen seine Erkenntnisse hat“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka. „Alles, was ich bislang an Videomaterial aus Chemnitz gesehen und von Augenzeugen gehört und gelesen habe, widerspricht Maaßens Äußerungen eklatant.“Auch SPD-Chefin Andrea Nahles kritisierte Maaßen: „Seine Aufgabe ist es, Verfassungsfeinde zu enttarnen und zu stellen. Er bewirkt mit seinen Äußerungen das Gegenteil, wenn er sie nicht belegen kann“, sagte Nahles.
Maaßen bezieht sich wohl auf ein Video, das beim Kurznachrichtendienst Twitter hochgeladen wurde und Übergriffe auf Migranten zeigt. Eine Analyse der „Schwäbischen Zeitung“ergibt, dass es mit großer Sicherheit in Chemnitz entstanden ist. Die Kleidung der mutmaßlichen Angreifer, das Wetter und die Schattenwürfe sprechen dafür, dass das Video am späten Nachmittag des 26. August aufgenommen wurde. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält das Video für echt. „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte“, sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein „Zeit online“.
Die SPD hat eine Sondersitzung des Innenausschusses und des Parlamentarischen Kontrollgremiums gefordert. FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser vermutet ein Ablenkungsmanöver von Maaßen, der wegen eines verschwiegenen V-Manns im Fall Amri sowie durch die mögliche Beratung der AfD unter Druck stehe. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte die Ablösung Maaßens. Dieser habe haltlose Spekulationen in die Welt gesetzt.
Für Verwunderung sorgte, dass Maaßen nicht die Bundesregierung, sondern die „Bild“-Zeitung über seinen Verdacht informiert hat. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe mit Maaßen in den vergangenen Tagen nicht gesprochen.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stärkten Maaßen den Rücken. „Man muss das ernst nehmen, wenn er zu so einer Einschätzung kommt“, sagte Dobrindt. Seehofer antwortete auf die Frage, ob Maaßen sein volles Vertrauen habe: „Ja.“
WIESBADEN (epd) - Die Innenminister von CDU und CSU setzen sich für Rechtsverschärfungen bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ein. Dazu gehört ein Freiheitsentzug für die Betroffenen bis zu zehn Tage lang vor einer geplanten Abschiebung. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte am Freitag nach der Tagung mit seinen Unionskollegen in Wiesbaden, einer der Hauptgründe für gescheiterte Abschiebungen sei das Untertauchen dieser Personen. Deshalb seien wieder effektivere Instrumente für die Behörden erforderlich. Dazu gehöre die Schaffung einer Rechtsgrundlage für einen zehntägigen Gewahrsam.
Voraussetzung seien Anhaltspunkte, die „die Annahme rechtfertigen, dass sich eine abzuschiebende Person der Abschiebung entziehen wird“, heißt es in einer Erklärung, die Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sowie acht Länderkollegen, unter anderem aus Baden-Württemberg und Bayern verabschiedeten. Hinzu kommen soll auch die Möglichkeit eines Kurzzeitgewahrsams, der die Festnahme schon am Vortag der Abschiebung erlaubt.