Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Sag mir, wo die Blumen sind
Nur bei hübschen Pflanzen bleibt es nicht – die Bundesgartenschau 2019 wird Heilbronn nachhaltig verändern
HEILBRONN - Der Wind treibt mit föhnigem Atem eine dunkelgraue Wolkendecke über das Gelände der Bundesgartenschau (Buga). Der Staub juckt in den Augen, die alsbald zu tränen beginnen. Eine tristere Vorschau auf der riesigen Baustelle des Gartenschauareals hätte das Wetter kaum inszenieren können. Absurd klingt da das Motto: „Blühendes Leben“. Wenigstens regnet es nicht, als Buga-Geschäftsführer Hanspeter Faas die kleine Gruppe aus Medienmenschen an diesem Sonntag zur Führung begrüßt. Im Hintergrund schrauben sich Kräne in die Höhe, direkt am Ufer des Neckars recken sich die komplett unterschiedlich konzipierten 23 Hochhäuser in den Heilbronner Himmel, dem dann doch für einen kurzen Moment die Tränen kommen.
„Hier sehen Sie eine Straße, die wird vielleicht dauerhaft gesperrt“, sagt Faas. Die Errichtung des BugaGeländes hat schon heute das verkehrstechnische Gesicht der Stadt verändert: Wo sich einst die Autos entlang des Flusses stauten, führen frisch angelegte Fuß- und Radwege die städtische Lebensader entlang. „Vielleicht wird das nicht jedem Heilbronner schmecken“, sagt Faas nachdenklich. Aber die Zeiten sind vorbei, als Gartenschauen den Ort ihres Stattfindens nur mäßig veränderten und kaum Spuren hinterließen. Und doch: „Die Zustimmung der Bevölkerung beträgt 84 Prozent“, erklärt Faas. Ein Wert, der im Angesicht zunehmender Skepsis gegenüber Großveranstaltungen nicht selbstverständlich sei.
Im Fall von Heilbronn kann es sein, dass die Dinge aus einem bestimmten Grund ein bisschen anders gelagert sind. Denn Heilbronn als Industriestandort gilt nicht unbedingt als das Florenz des nördlichen Baden-Württemberg. Das liegt an der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs, als die Neckarstadt besonders unter Bombardements zu leiden hatte, sodass weniger als fünf Prozent der Stadt unversehrt blieben. Im pragmatischen Geist der Nachkriegszeit entstand eine Architektur der Zweckmäßigkeit, die heute von vielen als Ansammlung von Bausünden empfunden wird. „Auch aus dieser Sicht heraus ist die Bundesgartenschau 2019 etwas ganz Besonderes“, erklärt der Buga-Chef jetzt bei seinem Vortrag in einem Backsteingebäude am Fluss, das bald als gastronomischer Betrieb die Besucher kulinarisch beglücken soll. Denn das Stadtviertel Neckarbogen, wie das Hochhausneubaugebiet offiziell heißt, sei von städtebaulicher Einzigartigkeit.
Tatsächlich haben sich die Planer schon vor Jahren Gedanken gemacht, wie sie die Neuerung des Geländes am Fluss, das früher sozusagen der schmuddelige Hinterhof Heilbronns mit Schrottplätzen und Mülllagern gewesen ist, auf die Höhe der Zeit bringen – oder besser noch in die Zukunft urbaner Lebenswelten. Die Verantwortlichen haben die Grundstücke am Fluss nicht nach dem Prinzip des Höchstgebots vergeben, sondern auf Grundlage der besten Konzepte. Die Entwürfe mussten den Kriterien einer guten sozialen Durchmischung, der Berücksichtigung von Gewerbe in den Erdgeschossen genügen und der gelebten Inklusion mit einem Gebäude, in dem Menschen mit besonderen Bedürfnissen betreut wohnen können – inklusive eines Cafés, in dem Behinderte unter fachkundiger Anleitung arbeiten. „Auf keinem der 23 Gebäude gibt es ein privates Penthouse“, erklärt Faas. Der Dachgarten sei für alle Bewohner eines jeweiligen Hauses offen. Alle Häuser haben verschiedene Fassaden.
Deutschlands höchstes Holzhaus
Gerade entsteht auch Deutschlands höchstes Holzhochhaus am Neckarbogen. 50 Prozent der 350 gebauten Wohnungen werden vermietet, davon sind wiederum 40 Prozent geförderter Wohnraum, der pro Quadratmeter zwischen sechs und sieben Euro kostet. Das aktiv von 800 Menschen bewohnte Quartier ist als Stadtausstellung Teil der Bundesgartenschau. Verschiedene Ausstellungen in den Erdgeschossen der Gebäude sind der urbane Gegenentwurf zum grünen Geschehen auf dem Freigelände. Nach Ende der Schau werden weitere Teile des Areals mit Wohnbebauung entwickelt.
Dann beginnt der Buga-Chef – als gelernter Gärtner ganz in seinem Element – über die botanischen Eigenheiten der kommenden Schau zu sprechen, als er am Flussufer einer Wassertreppe hinauf zu einem der künstlich angelegten Seen folgt. Es eröffnet sich ein weiter Blick, der an grünen Wällen hängen bleibt, an den 1700 Pappeln, die extra für eine natürliche Beschattung der Besucher gepflanzt worden sind, und die eigentlich mit dem Abwasser aus den Gebäudekomplexen des neuen Quartiers Neckarbogen gespeist und bewässert hätten werden sollen. „Aber zu so viel Nachhaltigkeit hat man sich dann doch nicht entschlossen“, sagt ein grinsender Hanspeter Faas.
Eine Menge angepflanzter Stauden säumen den Weg der Gruppe, die nun auf einen mit Reben bewachsenen Wall zusteuert. Dieser trennt Bahngleise vom Gelände. Außerdem schmiegt sich an seine Hänge ein gigantischer Kinderspielplatz mit einem verwirrenden Gespinst aus Kletternetzen, von den langen Stahlrutschen ganz zu schweigen. Außerdem wecken hohe Wände mit Ösen und Mulden den Kraxelinstinkt der Besucher, die ab 17. April 2019 reichlich strömen sollen. Die Veranstalter kalkulieren mit 2,2 Millionen Besuchern. „Da hat es schon Gartenschauen mit deutlich mehr Menschen gegeben“, räumt Faas ein. Er muss es wissen, denn: Der Mann kann sich ohne Weiteres als Mister Gartenschau bezeichnen lassen, verfügt der 64-Jährige doch über die Erfahrung aus 40 Jahren Gartenschau-Tätigkeit. An 16 Landes-, Bundes- und internationalen Gartenschauen hat er bislang mitgewirkt. Und man glaubt ihm aufs Wort, wenn er sagt: „Jede Gartenschau muss in die jeweilige Region, die jeweilige Stadt genau passen.“Erfolgsrezepte von vergangenen Schauen einfach zu übertragen – das funktioniere nicht. Welche Programmdetails es am Ende sein werden, die über die Größe des Erfolges der Buga 2019 in Heilbronn entscheiden, weiß auch Faas noch nicht. Wird es die konsequente Auseinandersetzung mit den Zukunftsfragen von Energie, Stadtleben und Ökologie sein? Oder die spektakulären Pavillons, etwa der „BionikFaser-Pavillon“, mit dem sich das Land Baden-Württemberg als Hightechstandort nicht nur Schrebergärtnern, sondern der Welt überhaupt präsentiert? Oder werden es die klassischen Blumenrabatten sein, die Rosengärten, die Showbühnen, das Experimentierschiff MS Experimenta? Oder eine Installation, von der Hanspeter Faas verspricht, dass sie das Rülpsen von Bienen hörbar machen könne? Der Pilzgarten? Oder das gigantische Wasserspielkonzept, das die Besucher bei Tag und am Abend mit einer Mischung aus optischen und akustischen Sensationen aus mehr als 140 Fontänen fesseln soll?
Die Macher dürfen auch heute schon, 202 Tage vor Eröffnung der Buga, zuversichtlich sein. Denn inzwischen sind 11 000 Dauerkarten zum Preis von 110 Euro verkauft. Kinder bis 15 Jahre zahlen nichts. Die Tageskarte für Erwachsene kostet 23 Euro. Die Investitionskosten der Bundesgartenschau liegen bei 144 Millionen Euro, zum Großteil liegen sie auf den Schultern der Stadt. 53 Millionen kostet noch einmal der eigentliche Betrieb, für den Heerscharen von Mitarbeitern und beileibe nicht nur Gärtner nötig sind.
11 000 Dauerkarten sind verkauft
Am Ende des Rundgangs peitscht ein gehässiger Sturm über das Gelände, sodass die Pappeln sich bedrohlich biegen und sowohl Faas als auch Buga-Pressesprecherin Suse BucherPinell ein etwas besorgtes Gesicht machen. Wird bis zum April alles fertig sein? „Eine Million Blumenzwiebeln müssen wir noch pflanzen“, sagt Bucher-Pinell. Überall stehen Kräne, Baumaschinen, Werkzeug. Es gibt noch eine Menge zu tun. Auch die insgesamt 5000 Einzelveranstaltungen, die verteilt auf 173 Öffnungstage stattfinden werden, wollen sorgfältig geplant und organisiert sein. Die Partnerschaften mit Sponsoren und Zulieferern wollen besiegelt sein. Für den Buga-Wein aus der Gegend wird die hiesige Winzergenossenschaft sorgen, für möglichst viel Zulauf die Kooperation mit der Stuttgarter Touristikmesse CMT 2019. Es gibt ein Buga-Brot, einen rosa BugaGartenzwerg – auch für den heimischen 3-D-Drucker. Sein Name ist Karl, ihn gibt’s auch als vernaschbare Version in rosa Schokolade.
Über den Erfolg entscheidet aber nicht nur das Marketing, sondern am Ende auch schlicht das Wetter. Als der Sturm kurz Verschnaufpause einlegt, öffnet sich die Wolkendecke für ein paar Minuten und lässt die 40 Hektar große Baustelle hoffnungsvoll im Sonnenlicht schimmern, sodass die Pressesprecherin frohen Mutes sagt: „Ein gutes Omen.“
„Jede Gartenschau muss in die jeweilige Region, die jeweilige Stadt genau passen.“
Viele Details zur Bundesgartenschau finden sich im Internet unter www.buga19.de